)
Rot-weiß-rot drittstärkster Investor. | Exporte in drei Jahren verdoppelt. | Extreme Inflation ist größtes Problem. | Kiew/Wien.Am 15. Julisoll Bundeskanzler Alfred Gusenbauer die Ukraine besuchen. Bei seinen Gesprächen in der Hauptstadt Kiew, etwa mit Regierungschefin Julia Timoschenko, wird es nicht nur um Politik und Fußball gehen - die an Ukraine und Polen vergebene Euro 2012 wackelt nämlich kräftig. Sondern auch Österreichs wirtschaftliche Chancen in diesem östlichen Supermarkt mit 47 Mio. Einwohnern stehen auf der Tagesordnung. Denn diese sind trotz etlicher Einschränkungen beträchtlich.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die nach Russland wirtschaftlich zweitstärkste Provinz der ehemaligen Sowjetunion hat zwar, als sie 1991 unabhängig wurde, eine Volkswirtschaft geerbt, die außer Schwerindustrie und veralteten Technologien wenig Erfreuliches zu bieten hatte. Obendrein wurden Umstrukturierungen lange verhindert, sodass die Produktionsleistung im Jahr 1999 auf 40 Prozent des Outputs vor der Unabhängigkeit geschrumpft war.
In den letzten Jahren kann sich das Wirtschaftswachstum jedoch sehen lassen. Von 2000 bis 2004 wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) jährlich um bis zu 12,1 Prozent. Nach einem Durchhänger nach dem politischen Machtwechsel 2004 ("orange Revolution") wurden die Reformen beschleunigt. Seit 2006 beträgt die Wachstumsrate rund sieben Prozent (siehe Kasten). Einer der ersten, die den Aufschwung witterten, war der Rewe-Konzern, der 2000 seine erste Billa-Filiale in Kiew eröffnete - und 2007 insgesamt 90 Mio. Euro in zehn Filialen umsetzte.
Derzeit liegt die Arbeitslosigkeit knapp über dem EU-Durchschnitt. Die Inflation, die im Mai 31,1 Prozent erreicht hat, bereitet Sorgen. Auch um die Kreditwürdigkeit des in Richtung EU und Nato orientierten WTO-Mitglieds Ukraine ist es nicht besonders gut bestellt.
Die gute Konjunktur wird primär von der starken Inlandsnachfrage getragen, die eine Folge der steigenden Realeinkommen und der zunehmenden Kreditausweitung ist. Weitere Triebfedern des Wachstums sind der Ausbau der Infrastruktur, die Modernisierung von Industriebetrieben und die Exportsteigerungen. Auch bei Importen ist der Aufwärtstrend beachtlich: Die enge Verflechtung mit der Russischen Föderation, dem wichtigsten Handelspartner der Ukraine, nimmt allmählich ab. Die EU-Länder, allen voran Deutschland und Italien, sind mit einem Anteil von 35 Prozent zweitgrößter Handelspartner.
Die Österreicher liegen in der Exportstatistik der Ukraine zwar erst auf Platz 26 (und beim Import an der 18. Stelle). Österreichische Ausfuhren in die Ukraine haben sich jedoch in den letzten drei Jahren auf 740 Mio. Euro (2007) verdoppelt.
Für die rot-weiß-roten Topbetriebe rückt dieses vielfach noch geheimnisvolle und daher unentdeckte Land immer näher. Trotz mancher Troubles im Geschäftsalltag - die ausgeprägte Bürokratie, Korruption als immer noch beliebtes Gesellschaftsspiel und eine beträchtliche Schattenwirtschaft sorgen für Bremseffekte - machen die ausländischen Direktinvestitionen rund sechs Mrd. Euro aus. Gregor Postl, Handelsdelegierter in Kiew, hat deshalb alle Hände voll zu tun, um die zahlreichen Anfragen von Interessenten zu erledigen. Österreich ist in der Ukraine laut Angaben des Statistischen Amts in Kiew nach Deutschland und Zypern drittgrößter Investor. Das kumulierte Volumen des österreichischen Kapitals liegt bei rund 1,6 Mrd. Dollar (1,13 Mrd. Euro).
Versicherungen undBanken sind führend
Heimische Unternehmen sind vor allem auf dem ukrainischen Finanzmarkt aufgefallen, der mit dem Bankengesetz 2001 modernisiert wurde. Die Banken haben sich mehrfach an Privatisierungen beteiligt.
Raiffeisen International-Boss Herbert Stepic hat Mitte 2005 den größten Coup gelandet, als er die Bank Aval kaufte. Diese ist mit 300 Filialen und vier Mio. Kunden das zweitgrößte Geldinstitut. Stepic: "Die Ukraine ist einer unserer wichtigsten Märkte."
Die Erste Bank übernahm 2006 um 80 Mio. Euro die Bank Prestige. Diese war erst 2005 gegründet worden und hat 300 Mitarbeiter und 15 Niederlassungen. Erste-Chef Andreas Treichl peilt bis 2010 einen Marktanteil von vier bis fünf Prozent und 400 Filialen an.
Die Volksbank International AG hat sich dagegen im Dezember 2006 bei der OJSC Elektron Bank eingekauft, die 640 Mitarbeiter in 55 Vertriebsstellen beschäftigt. Sie ist allerdings um einige Schuhnummern kleiner als die UniCredit-Group, die in der Ukraine mit der 10.500 Beschäftigte zählenden Ukrsotsbank sowie mit der UniCredit Bank vertreten ist. Beide Institute zusammen bringen es auf fünf Mrd. Euro Bilanzsumme. Sie betreuen in 550 Niederlassungen insgesamt zwei Mio. Kunden.
Auch österreichische Leasingfirmen wollen sich die Chancen nicht entgehen lassen: Raiffeisen Leasing International feiert sich als Marktführer. Auch die Immoconsult Leasing, eine Tochter der Investkredit, ist flott unterwegs, und die Hypo Alpe Adria Leasing finanziert in Kiew Immobilien, Mobilien und KFZ.
Stark sind Österreichs Versicherungen: Die Vienna Insurance Group ist seit vier Jahren in der Ukraine aktiv und an den Sachversicherern Kniazha und Globus sowie am Lebensversicherer Jupiter beteiligt. Im Februar 2008 schloss sie den Kauf von 62 Prozent an der Ukrainska Strakhova Grupa ab. Die Wiener Städtische liegt in der Branchenwertung auf Platz sechs und in der Kfz-Haftpflichtversicherung mit zehn Prozent Marktanteil an zweiter Stelle.
Die Uniqa-Gruppe vereinbarte 2006 mit den Aktionären der Credo-Classic eine schrittweise Übernahme der Aktienmehrheit - derzeit sind es 50 Prozent. Sie gründete mit dem sechsgrößten Sachversicherer des Landes obendrein die Lebensversicherung Uniqa Life. Beide Gesellschaften beschäftigen 700 Mitarbeiter und haben ein Vertriebsnetz mit etwa 70 Standorten. Die Generali Vienna Group ist ebenfalls seit 2006 auf dem ukrainischen Assekuranz-Markt tätig: Sie sicherte sich die Mehrheit an der Garant Auto Group. Das Prämienaufkommen lag 2006 bei knapp 58 Mio. Euro und wird im Hinblick auf die branchenweiten Wachstumsraten von durchschnittlich 35 Prozent pro Jahr rasch emporschnellen.
Wie interessant der Standort Ukraine für Österreichs Betriebe geworden ist, selbst wenn die politische Lage nicht völlig stabil ist, beweist die Voestalpine: Der Linzer Konzern will sein nächstes Stahlwerk am Schwarzen Meer errichten - vorerst ist die Ukraine in der engeren Wahl.