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"Ukraine hat uns überrascht"

Von Wolfgang Zaunbauer

Politik

Der deutsche Militärexperte Ulrich Schlie über die sicherheitspolitischen Herausforderungen für Europa.


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Wien. Dass die EU ein Friedensprojekt ist, das für Stabilität und eingedeihliches Zusammenleben auf unserem Kontinent sorgt, gehört zum Standardrepertoire aller Europapolitiker. Dass Europa aber auch ein Sicherheitsprojekt ist, dass Europa eine sicherheitspolitische Aufgabe jenseits der Versöhnung von Deutschland und Frankreich zu erfüllen hat, ging in diesem Europawahlkampf eigentlich völlig unter. Dabei ist die sicherheitspolitische Lage in den vergangenen Jahren viel komplexer, sind die Herausforderungen für Europa vielfältiger geworden. Dabei wird Europa den Ansprüchen, die es an sich stellt, nicht wirklich gerecht. Trotzdem gebe es keine Alternativen zu einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik, erklärte Ulrich Schlie, langjähriger Spitzenbeamter im deutschen Verteidigungsministerium und derzeit am Nato Defence College in Rom tätig.

Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sei die Welt "schwerer lesbar geworden", erklärte Schlie bei einem "Sicherheitspolitischen Frühstück" am Mittwoch im Innenministerium in Wien. Europa sei zunehmend "mit strategischen Fragen in Außereuropa konfrontiert". Dazu zählen etwa die Entwicklungen im arabischen Raum; das gewachsene strategische Gewicht Afrikas, was vor allem in Deutschland lange nicht erkannt worden sei; oder das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland.

Russland habe in den letzten Jahren "insgesamt an Gewicht verloren" und wolle nun "seine eigene Statusstellung zurückgewinnen", so Schlie. Dabei schrecke Moskau auch nicht vor "gefährlichen Methoden" zurück - und überrascht die Nato, wie etwa im Falle der Ukraine. "Ich war überrascht, wie weit Putin gegangen ist", sagte Schlie und ortet "viel altes, geostrategisches Denken" beim russischen Präsidenten. Ein Reset, eine Normalisierung der Beziehungen sei da sehr schwierig, so der Verteidigungsexperte.

Mit Blick auf Afrika ist vor allem die Schwäche von Staaten - Stichwort: Failed States - eine Herausforderung für Europa, die ein Handeln erforderlich macht. "Ein Staat, der nicht fähig ist, die eigene innere Sicherheit zu gewährleisten, ist letztlich eine Gefahr für Europa", formulierte es Kurt Hager, Leiter des Büros für Sicherheitspolitik im BMI.

Ohne die USA wäreEuropa überfordert

Doch ist Europa sicherheitspolitisch überhaupt handlungsfähig? Nicht ohne die USA, sagt Ulrich Schlie: "Auf uns alleine gestellt wären wir überfordert." Gerade auch die Finanzkrise habe dazu geführt, dass die europäischen Staaten weniger an einem Strang ziehen und vermehrt auf "nationale, egoistische Strategien" setzen: "Knappe Haushalte müssen nicht zwangsläufig dazu führen, dass man mehr zusammenarbeitet." So sei etwa die französische Politik von französischen industriepolitischen Überlegungen bestimmt. "Das erschwert die Zusammenarbeit."

Ein Problem seien auch Befürchtungen südeuropäischer Länder wie Portugal, Spanien oder Italien, angesichts verstärkter Kooperationen von Deutschland etwa mit den Niederlanden oder Norwegen auf der Strecke zu bleiben. Überhaupt steckt Deutschland in einer gewissen - historisch bedingten - Zwickmühle: Einerseits sei das Land als größte europäische Volkswirtschaft gefordert, "wenn aber Deutschland Führungsstärke zeigt, heißt es gleich, wir sind auf dem Weg in ein deutsches Europa", so Schlie. Das erfordere von Berlin viel Fingerspitzengefühl.

Insgesamt sind die Aussichten laut Schlie "nicht rosig". Trotzdem gebe es zu einer sicherheitspolitischen Integration Europas "keine Alternative", alleine schon deswegen, weil sich die USA von Europa wegorientieren. "Sie sind nicht mehr mit dem Herzen dabei", sagt Schlie, wohl auch deshalb stehen die USA einer vertiefen militärischen Zusammenarbeit der Europäer positiver gegenüber als noch vor zehn Jahren. Noch wäre Europa ohne die USA aber überfordert. Letztlich müsse es "noch einen langen Weg gehen" - und zwar mutig. Dabei dürfe sich Europa von der Vielzahl der Probleme nicht überfordern, aber auch nicht auseinanderdividieren lassen.

Fortschritte brauchen Kommunikation

Damit es im Bereich der Sicherheitspolitik Fortschritte geben kann, braucht es laut Schlie aber auch eine Debatte darüber: "Sicherheitspolitik ist auch eine Frage der Kommunikation", wobei er einräumt, dass die Komplexität des Themas mitunter selbst Experten überfordert, erst recht Politiker.