)
Ein Industriezentrum, das ums Überleben kämpft, ein charmanter Urlaubsort am Meer und eine pulsierende Hafenstadt - Eindrücke einer Reise in drei äußerst unterschiedliche Regionen der Ukraine: Lugansk, Jalta und Odessa.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Eine Leuchtschrift über dem Eingang eines Lokals. Diese Reklame fällt wirklich auf, denn vor und nach diesem Lichtfleck ist es stockdunkel: Keine Straßenbeleuchtung, keine Beleuchtung auf den Gehwegen, und aus den Fenstern der Wohnblocks dringt nur vereinzelt Licht. Wir sind im Zentrum von Lugansk - einer Stadt mit rund 500.000 Einwohnern in der Ostukraine. Dass es hier nicht einfach ist, Geschäfte zu machen, liegt auf der Hand. Doch auch in Lugansk soll es aufwärts gehen. Davon sind zumindest die lokalen Politiker überzeugt.
Hauptproblem: Gutes Investitionsklima schaffen
Im Jahr 1991 hat die Ukraine ihre Unabhängigkeit erklärt. Gemeinsam mit Russland und Weißrussland wurde sie Gründungsmitglied der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Zehn Jahre nach dem Zusammenbruch der UdSSR hat das Land nach wie vor mit großen Problemen bei der Umstellung auf ein demokratisches und marktwirtschaftliches System zu kämpfen: hohe Arbeitslosigkeit, überbordende Bürokratie, Schmuggel und Korruption. Die Schätzungen über die tatsächliche Arbeitslosenquote reichen von 25 bis 40%. Zahlreiche ausländische Investoren scheuen wegen der mangelhaften Rechtssicherheit nach wie vor ein Engagement in der Ukraine. Aber es gibt auch Positives zu berichten: Das Bruttonationalprodukt stieg im Jahr 2001 um 9%, und Experten erwarten in den nächsten zehn Jahren ein äußerst vielversprechendes Wachstumspotenzial, speziell in der Landwirtschaft. Zurzeit sind bereits über 200 Unternehmen ,mit österreichischer Kapitalbeteiligung in Form von Repräsentanzen, Niederlassungen und Joint Ventures in der Ukraine vertreten.
"Es gibt kein Problem mit der Energieversorgung", erklärt indessen ein Sprecher der Region Lugansk. Und am späteren Abend gehen dann auch in Lugansk die Lichter an. Offensichtlich werden die Beleuchtungszeiten eingeschränkt, um zu sparen. Atomkraft (über ein Drittel) und thermische Werke sind die wesentlichen landeseigenen Energiequellen der Ukraine. Doch die Energiegewinnung ist wenig effizient, und der Zustand der Atomkraftwerke ist nicht der Beste. Dazu kommt der mangelhaften Anlagen. "Die Heizungen haben normalerweise keinen Regler, die Räume sind oft überheizt. Fensterfugen werden vom Herbst bis zum Frühjahr einfach mit Klebebändern abgedichtet", erläutert Karl Tantscher, Vorstandsvorsitzender von S&T. Das österreichische Unternehmen S&T System Integration & Technology Distribution AG ist in Osteuropa tätig und rüstet auch Energieversorger in der Ukraine mit neuen IT-Systemen aus. Ein weiteres Problem ist die Abhängigkeit der Ukraine von Brennstoffimporten. Seit dem Ende der Sowjetunion 1991 müssen Gas und Erdöl zu Weltmarktpreisen bezogen werden. Ein Abkommen mit Russland sichert die ukrainische Gasversorgung für die nächsten Jahre, bringt aber auch entsprechende Abhängigkeit mit sich. Mit der Privatisierung von regionalen Energieversorgern hat die ukrainische Regierung auch für den Energiesektor die Weichen in Richtung Marktwirtschaft gestellt. Wie auch in anderen Bereich werden im Energiesektor dringend ausländisches Kapital und Know-how benötigt.
"Früher war das ganze Leben vorbestimmt"
Doch zurück nach Lugansk: Auch hier setzen Politiker und Wirtschaftstreibende auf ausländische Investitionen. Abgesehen von den finanziellen und strukturellen Problemen müsse man sich auch der psychologischen Barrieren bewusst sein, betont der Vorsitzende der Gebietsadministration von Lugansk. Dies bestätigt sich im Gespräch mit den Ukrainern. Wer jahrzehntelang im kommunistischen System gelebt hat, findet sich oft schwer in einem marktwirtschaftlichen System zurecht, geschweige denn, dass er in der Lage ist, ein solches aufzubauen. Und den ausländischen Investoren fehlt oft das Verständnis für das Land. "Früher war alles anders: Eine Partei, eine Bank und das ganze Leben war schon von Geburt an vorbestimmt", schildert ein Ukrainer das Leben in der UdSSR.
Die Region Lugansk gilt als eines der größten Industriezentren der Ukraine und wird ob ihrer Grenze mit Russland als "das östliche Tor der Ukraine" bezeichnet. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR seien allein durch die Schließung von 35 Steinkohlewerken 100.000 Menschen in der Region arbeitslos geworden. Viele von ihnen würden nun in Russland, in Moskau oder Sibirien arbeiten, wo sie mehr verdienen würden als in ihrer Heimat, so der Gouverneur.
Die Betriebe in der Region werden schrittweise privatisiert, doch auf die Frage nach der Eigentümerstruktur ist selten eine eindeutige Antwort zu bekommen. Ein gängiges Konstrukt scheint die Aufteilung der Unternehmensanteile zwischen dem Staat, der jeweiligen Region bzw. Stadt, verschiedenen Firmen, den Mitarbeitern und ein paar Großaktionären - die allerdings nicht genannt werden wollen - zu sein. Dazu die Erklärung eines Ukrainers: "In unserem Land ist es nach wie vor besser, nicht alles zu wissen".
Einer Firma, der es gelungen ist, ausländische Investoren an Bord zu holen, ist die Nähfabrik "Still". So fertigen die 2.400 MitarbeiterInnen der Fabrik nun unter anderem Damenoberbekleidung für "Gerry Weber" aus Deutschland an. Inzwischen produziert "Still" auch - zumindest in kleinem Umfang - für den heimischen Markt. Während in der Nähfabrik ein Großteil der MitarbeiterInnen sehr beschäftigt wirkt, macht die alte Lok-Fabrik einen ziemlich trostlosen Eindruck. Die 1896 gegründete "Luganskteplovoz" lieferte zu UdSSR-Zeiten über 90% der Lokomotiven für die Sowjetunion. Seit der Wende sei die Produktion dramatisch gesunken, erzählt der Direktor Sergiy A. Mikhyeyev.
Laut Auskunft des Gouverneurs liegt das durchschnittliche Monatsgehalt in der Region bei 410 Hryvnia (ca. 78 Euro), ein Pensionist erhält etwa 140 Hryvnia (27 Euro) staatliche Rente pro Monat. Ein Laib Brot kostet etwa 1,3 Hryvnia (25 Cent), eine Flasche Wodka gibt es ab 5 Hryvnia (95 Cent) und ein Liter Benzin (95 Oktan) ist für 2,20 Hryvnia (42 Cent) erhältlich. Mit der staatlichen Rente sei zwar der Lebensunterhalt noch nicht gesichert, aber immerhin werde dieser Betrag jetzt verlässlich ausbezahlt, meint der Gouverneur und spricht damit Zeiten an, in denen die Rentner monatelang kein Geld erhalten hatten. In diesem Zusammenhang wird auch die spärliche Beleuchtung der Wohnungen klar - es wird einfach an allen Ecken und Enden gespart.
Urlaubsland Ukraine: Sonne, Strand und Meer
Während es nach Lugansk wohl nur Geschäftsleute zieht, die vom prognositizierten Aufschwung im Osten profitieren wollen, ist eine Reise auf die Halbinsel Krim auch für Touristen empfehlenswert. Die Krim hat den Status einer "autonomen Republik" innerhalb der Ukraine. Für das Empfinden vieler Einwohner geht die Autonomie aber nicht weit genug, die Gesetze der Ukraine seien zu dominant, heißt es. Jalta, am Südzipfel der Halbinsel, bietet alles, was man sich von einem Sommerurlaubsort wünscht: Hotels, Strandpromenade, Meer und interessante Ausflugsziele, etwa das Tschechov-Haus in Jalta oder der Hafen im nahe gelegenen Sevastopol mit seinen ukrainischen und russischen Kriegsschiffen. Das Hotel Oreanda (mit Blick auf das Meer) zum Beispiel entspricht in allen Belangen sogenannten westlichen Standards - so auch die Preise: In der Hauptsaison kostet ein Doppelzimmer 1.260 Hryvnia (240 Euro). Das Hotel habe eine durchschnittliche Auslastung von 50%, was natürlich weit unter der Auslastungsquote liege, die es zu UdSSR-Zeiten gab, erläutert der Direktor des Hotels. Etwa 70% der Gäste seien aus der Ukraine und aus Russland, 10% aus den USA und die restlichen 20% aus den verschiedensten Ländern, vor allem aus Europa. Auch hier hofft man auf den Aufschwung mit Hilfe von ausländischem Kapital: "Wir haben genug Arbeitskräfte, aber leider fehlen uns die Investoren", so der Hotel-Chef.
Die Region Odessa liegt im Südwesten der Ukraine und grenzt an das Schwarze Meer und die Länder Moldavien und Rumänien. Odessa spielt dank seines Zuganges zum Schwarzen Meer und zur Donau eine bedeutende Rolle im Schiff- und Frachtverkehr. Aber auch die Produktion von Weinbrand hat hier schon seit 1863 Tradition. Der Cognac-, Weinbrand- und Sekterzeuger "Shustoff" konnte mit Unterstützung von französischem Know-how und modernen Produktionsanlagen sein Sortiment derart ausweiten, dass nun Wodka in den verschiedensten Qualitäts- und Preisklassen hergestellt wird. Seit kurzen liefert das Unternehmen erstmals auch nach Österreich - an die Gastronomie und die Merkur-Märkte.
Beeindruckend ist die Oper von Odessa, die dank der Renovierungsarbeiten zum Teil schon in neuem Glanz erstrahlt. Doch auch beim kulturellen Genuss eines Konzertes des österreichischen Dirigenten Kurt Schmid, der seit Jahren in der Ukraine tätig ist, sind die wesentlichen Probleme des Landes präsent: In der Oper gibt es keine Heizung. Wenn es im Winter zu kalt wird, dann werden die Vorstellungen einfach abgesagt. "Wer hier künstlerisch tätig ist, muss sich auch um viele andere Dinge kümmern", erzählt der musikalische Direktor des Philharmonischen Orchesters, der Amerikaner Hobart Earle: "Wenn in unserem Konzertsaal einmal die Fenster und die Heizung gemacht werden, dann wird es wirklich toll."