Abkommen soll im Dezember fertig sein. | Janukowitsch will mit Wirtschaftsraum und Visafreiheit punkten. | Kiew/Wien. Dmitri Medwedew winkte unlängst bereits mit dem Zaunpfahl: "Man kann nicht überall vertreten sein. Man muss endlich eine Entscheidung treffen", sagte Russlands Präsident auf seiner Jahrespressekonferenz letzte Woche in Richtung Kiew. Die in ihrer Außen- und Handelspolitik zwischen Russland und Europa pendelnde Ukraine - der Name des Landes bedeutet nicht zufällig "Grenzland" - müsse sich zwischen einem Beitritt zur Zollunion mit Russland, Weißrussland und Kasachstan und einer Freihandelszone mit der EU entscheiden.
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Umgekehrt stellt auch EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso Kiew vor die Entscheidung: "Es ist unmöglich, sich in eine osteuropäische Zollunion zu integrieren und zugleich einen vollwertigen Freihandelsraum mit der EU zu haben", äußerte sich der Portugiese nach einem Treffen mit Präsident Wiktor Janukowitsch im April.
Und die Ukraine scheint ihre Wahl getroffen zu haben. Ausgerechnet Janukowitsch, zur Zeit der Orangen Revolution noch der große Widersacher des prowestlichen Ex-Präsidenten Wiktor Juschtschenko, könnte nun für die Ukraine das Tor nach Europa aufstoßen. Denn während der ukrainische Präsident russischen Angeboten einer vertieften Integration beständig ausweicht, sind bereits rund 90 Prozent des Assoziierungsabkommens mit der EU fertig verhandelt. Der ukrainische Politologe Kyryl Savin, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew, geht davon aus, dass das Abkommen im Dezember unterzeichnet wird. Der Ukraine-EU-Gipfel in Kiew böte sich dafür als passender Rahmen an.
Die europäische Perspektive ist für Kiew jedenfalls verlockend: Die russisch dominierte Zollunion mit 167 Millionen Einwohnern kann nur schwer mit dem EU-Markt mithalten - einem Wirtschaftsraum mit 501 Millionen Einwohnern und einem etwa doppelt so hohen Pro-Kopf-Einkommen. Dazu kommt noch, dass Russland, Weißrussland und Kasachstan technologisch ähnlich rückständig sind wie die Ukraine selbst: "Sie können kaum etwas zur Modernisierung des Landes beitragen, weder durch Technologietransfer noch durch Investition von Kapital", meint Savin. All das könne die Ukraine nur von der EU bekommen. Das sei Janukowitsch durchaus klar, zumal den russischen Angeboten - verbilligte Energielieferungen und Abbau von Handelshemmnissen - nicht uneingeschränkt Glauben geschenkt wird. Schließlich gab es auch in Zeiten guter Beziehungen immer wieder handfeste Handelskonflikte.
Timoschenko droht Haft
Auch innenpolitisch könnte der in Umfragen abstürzende Janukowitsch mit den Abkommen punkten. Denn während der Beitritt zur Nato, den Vorgänger Juschtschenko anstrebte, eine stabile Gegnerschaft im Land hatte, erwartet sich eine Mehrheit der Ukrainer von Europa viel - und wäre es nur ein Ende der erniedrigenden Visaprozeduren. Ob die innenpolitische Entwicklung im Land mit den außenpolitischen Ambitionen allerdings Schritt hält, bezweifeln viele: Erst am Dienstag wurde Ex-Premierministerin Julia Timoschenko wieder mehrere Stunden vor Gericht vernommen, der Oppositionsführerin droht die U-Haft. Mit Ex-Innenminister Juri Luzenko sitzt bereits ein ehemaliger Mitstreiter Timoschenkos wegen Amtsmissbrauchs im Gefängnis. Beobachter sprechen von einer selektiven Rechtsprechung.