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Präsident zimmert sich Verfassung neu. | Opposition laufen Abgeordnete davon. | Orange Reformen sind Geschichte. | Kiew/Wien. An sich könnte Wiktor Janukowitsch zufrieden sein. Dem Mann aus dem ostukrainischen Donbass, der seit Februar als Präsident seines Landes amtiert, ist es gelungen, die ganze Macht in der Ukraine bei sich zu vereinigen: Die ehemalige Führung der Orangen Revolution ist politisch an den Rand gedrängt, wichtige Mitstreiter von Ex-Premierministerin Julia Timoschenko, wie ihr Stellvertreter Oleksandr Turtschynow, werden mit gerichtlichen Vorladungen unter Druck gesetzt. Premier Mykola Asarow von Janukowitschs Partei der Regionen bewährt sich in der Umsetzung präsidentieller Vorgaben und auch das Verfassungsgericht gilt nach dem Urteil politischer Beobachter mittlerweile als linientreu. Sogar die Medienlandschaft, die aufgrund der verschiedenen Machtzentren im Land immer einen gewissen Pluralismus aufwies, wird zusehends uniformer.
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Der Präsident scheint jedoch noch nicht am Ziel angekommen. Janukowitsch sind die Verfassungsänderungen, die im turbulenten Winter 2004/05 im Zuge der Orangen Revolution ausverhandelt wurden, ein Dorn im Auge: Damals musste der prowestliche Präsidentschaftskandidat Wiktor Juschtschenko für seinen Wahlsieg erhebliche Rechte ans Parlament abtreten: Beispielsweise ist es dem Staatschef nun nicht mehr möglich, Minister zu ernennen.
Alte Kutschma-Zeiten
Heute ist Janukowitsch selbst Präsident - und will die alten Vollmachten seines Vorvorgängers Leonid Kutschma zurück: Die Abgeordneten seiner Regierungskoalition reichten beim Verfassungsgericht eine Klage ein, ob die Änderungen von 2004 auch verfassungskonform waren. Ein Urteil zugunsten der Kläger wird allgemein erwartet: Erst am 21. September wurden - nach angeblich "freiwilligen" Rücktritten - vier neue, dem Präsidenten absolut loyale Richter angelobt. Bekommt Janukowitsch sein gewünschtes Ergebnis, fiele ihm das Regieren auch dann leicht, wenn es einmal keine präsidentenfreundliche Mehrheit in der Rada geben sollte.
Eine solche ist derzeit allerdings ohnehin nicht in Sicht. So verliert Julia Timoschenkos Wahlblock seit ihrem Sturz als Premierministerin ständig Mitstreiter: Statt ursprünglich auf 156 kann die Politikerin mit dem Haarkranz mittlerweile nur noch auf 124 Abgeordnete in der 450 Sitze fassenden "Werchowna Rada" bauen. So werkt etwa der von Timoschenko bestellte Leiter des Fonds für Staatsvermögen, Andrij Portnow, jetzt als Berater an der Seite von Präsident Wiktor Janukowitsch. Nur noch 30 Abgeordnete fehlen dem Regierungslager auf die ersehnte Zweidrittelmehrheit: Dann könnte sich Janukowitsch die Verfassung des Landes auch ohne Rückgriffe auf Kutschma zimmern.
Droht Rechtsvakuum?
Anfang Oktober soll das Gericht seine Entscheidung fällen. Beobachter verweisen allerdings auch bei einem vermeintlich klaren Urteil zugunsten der alten Kutschma-Verfassung auf erhebliche juristische Probleme: Denn seit den Änderungen 2004 wurden zahllose Gesetze auf Basis der neuen Verfassung verabschiedet. Was geschähe mit diesen Gesetzen, würde die Änderung gekappt? Manche glauben, dass dann ein Rechtsvakuum droht.
Nicht ganz klar ist auch, ob wirklich alle Regierungsabgeordneten über die Minderung ihrer Rechte glücklich sind: Neben den Kommunisten sichert unter anderem auch der kleine Block des Parlamentspräsidenten Wladimir Litwin der Präsidentenpartei die Mehrheit im Parlament. Sein Seitenwechsel hatte im März den Machtkampf zwischen Timoschenko und Janukowitsch entschieden.