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Hoffnung auf Aufschwung nach Absetzung Janukowitschs begraben.
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Kiew. "Und wir Idioten dachten wirklich, dass nach der Absetzung des Präsidenten Janukowitsch das Schlimmste endlich vorbei ist", sagt Nicholas Dmitroff und seufzt dabei tief. Die Entwicklung der letzten Tage jedoch hätte gezeigt: "Weit gefehlt." Seit die Russen die Krim besetzt haben und die ungeklärte Situation mit dem Nachbarstaat auch das restliche Land destabilisiert, muss der Unternehmer, der in Kiew eine Werbeagentur betreibt, sich überlegen, "ob ich lange leiden werde, oder kurzen Prozess mit meiner Firma mache." Der 42-Jährige grübelt nun darüber, wo er am besten den Rotstift ansetzt. Dass er ihn ansetzt, steht außer Frage.
Dmitroff, dessen Büro sich nur fünfzig Meter vom Maidan befindet und der froh ist, dass wenigstens der ständige Rauch von verbrannten Autoreifen ihm und seinen Mitarbeitern nicht mehr zusetzt, wird am Montag ein Viertel seiner Mitarbeiter entlassen, die restlichen auf Kurzarbeit setzen und deren Löhne kürzen.
"Es gibt momentan einfach überhaupt keine Arbeit", sagt er. "Alles steht." Bis Mai will er sich die Entwicklung noch ansehen, aber wenn bis dahin keine Besserung eintrete und er weiterhin Verluste schreibe, müsse er zusperren. Er habe, um flüssig zu bleiben, bei der Steuerbehörde Bescheid gegeben, dass er seine Steuern für das erste Quartal erst später bezahlen werde. "Andere Unternehmer, die ich kenne, machen das auch", sagt er. Immerhin müsse man nur eine vergleichsweise kleine Strafe zahlen.
Die wirtschaftliche Situation sei schon in den vergangenen Monaten schwierig gewesen. "Aber wir hatten wirklich Hoffnung, dass es mit der neuen Führung auch eine neue Chance für Geschäftstreibende gibt", sagt Dmitroff. Viel Hoffnung hat er aber nicht. Durch die volatile Situation könne man heute nicht mehr sagen, wie die Ukraine nächste Woche aussehe. "Das Land zerbricht, und die Menschen hier weigern sich, diese Realität anzuerkennen."
Nicht viel bessere Laune hat nur wenige hundert Meter Luftlinie entfernt Ondrij Paschkajew. "Erst haben wir geglaubt, unser Buchungssystem hat Probleme", sagt der Verkaufsdirektor eines großen ukrainischen Reiseveranstalters, der seine Reisen über mehr als 2000 Reisebüros im ganzen Land vertreibt. "Wir haben vergangene Woche am Donnerstag die Systeme runter- und wieder hochgefahren, aber gemerkt, dass wirklich den ganzen Tag keine einzige Buchung eingegangen ist", erzählt Paschkajew fassungslos. "So schlimm war es noch nie."
Der Reisebranche setzt auch der Verfall der ukrainischen Währung Griwnja zu, da Reisen ins Ausland in nun extrem teuren Euro und Dollar eingekauft werden. Paschkajew wolle seine gut geschulten Mitarbeiter aber vorerst alle halten, da die Produkte und Verkaufssysteme sehr komplex seien. Wie er die Sommerprogramme anlegen soll, wüsste er "beim besten Willen nicht." Aber momentan ginge es, "ehrlich gestanden", ohnehin nur ums Überleben.
Russen interessiertGeld mehr als Politik
Auch die Finanzbranche kämpft schwer mit dem aktuellen Stillstand. "Alle Investoren warten ab", sagt Andreij Wolkow, ein Investmentbanker, der Kunden aus Europa, der Ukraine sowie Russland betreut. "Die russische Wirtschaft ist gegenüber der Ukraine bei Weitem nicht so aggressiv eingestellt, wie die russische politische Führung", sagt Wolkow. "Es gibt kein grundsätzliches Nein zu einer Zusammenarbeit - die Russen interessiert Geld nach wie vor mehr als Politik", erklärt der 41-Jährige, dessen Firma Investohills Capital problembehaftete Vermögenswerte im Wert von rund 400 Millionen Dollar verwaltet. "Aber auch die Russen haben jetzt eine Pause eingelegt", sagt Wolkow. Für die nächsten drei Monate glaubt er an keine Besserung. "Wenn aber die Finanzhilfen der EU eintreffen, dann erwarte ich sehr wohl eine Wiederbelebung des Marktes."
Andere ukrainische Firmen beschwichtigen - zumindest offiziell. Die SKM-Holding des reichsten Ukrainers, Rinat Akhmetov, mit über 100 Firmen und 300.000 Beschäftigten gibt gegenüber der "Wiener Zeitung" an, dass ungeachtet der politischen Krise alle Fabriken des Unternehmens im Normalbetrieb laufen und der Konzern auch alle Löhne und Steuern fristgerecht zahle.
Abgesehen von SKM sind aber die wenigsten der größten ukrainischen Firmen dazu bereit, Angaben über aktuelle Verkaufszahlen zu machen oder Kommentare über die Entwicklung ihrer Geschäftsbeziehungen mit dem wichtigsten Exportmarkt der Ukraine, Russland, zu geben. Anfragen an den Wodkahersteller Nemiroff, die Supermarktkette ATB oder den Schokoladehersteller Roshen blieben unbeantwortet. Auch die zweitgrößte Bierbrauerei, Obolon, wollte die aktuelle Situation nicht kommentieren. Eine Sprecherin sagte lediglich, dass momentan weder klar sei, wie sich der Währungskurs weiter entwickle, noch, wie sich der Markt und das Konsumentenverhalten ändern werde.