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Ulrich Seidl hat es wieder getan: Auch im zweiten Teil seiner viel beachteten "Paradies"-Trilogie provoziert der Filmemacher ganz bewusst. In "Glaube", der beim Filmfestival in Venedig gezeigt wurde, geht es (wie berichtet) um eine tiefgläubige Frau mit missionarischem Drang, die ihre Liebe zu Jesus nicht immer nur rein platonisch bleiben lässt. In einer Szene ist etwa die Masturbation mit einem Holzkreuz zu sehen.
Die massive Kritik von Exponenten des erzkatholischen Italiens ließ nicht lange auf sich warten. Und so hagelt es neben der Kritik ultrakatholischer Verbände ("unerträgliche Filmblasphemie!", "obszöner Nihilismus!") auch eine Anzeige wegen Blasphemie, deren Einschreiter aus Gründen der Abschreckung sogar Haft für Seidl fordert - obwohl für dieses Delikt in Italien maximal Geldstrafen vorgesehen sind.
Immer wieder steht die Frage im Vordergrund, was Kunst darf und wo die Grenze zur Verletzung von religiösen Gefühlen liegt. Klar ist, dass der Verlauf dieser Grenze je nach Standpunkt anders ist. Besonders schmerzt wohl, dass Seidl mit seinem Film scheinwerferartig Licht auf eine Schattenseite von religiösem Fanatismus wirft, die manche gerne im Dunkeln gesehen hätten.
Ob er das mit dem Blick eines Forschers tut oder dem eines mit dem Skandal kalkulierenden Filmemachers, darüber kann man lebhaft diskutieren. Dass Seidl seine Meinung, auch wenn sie manchen nicht gefällt, selbstverständlich filmisch darstellen darf, steht dennoch außer Zweifel. Auch wenn einige im blinden Zorn der religiösen Verletzung gerne den Scheiterhaufen reaktivieren würde.