Likud-Minister will religiösen Schulen die Mittel kürzen. | Premier ist auf "Haaredim" politisch angewiesen. | Jerusalem. (ap) Zeit seines Bestehens pflegt Israel zu seiner ultraorthodoxen Minderheit ein spezielles Verhältnis: Privilegien und Subventionen erlauben es den meisten strenggläubigen Juden, der Wehrpflicht zu entgehen, ihre Kinder auf separate Schulen zu schicken und sich, vom Staat alimentiert, dem Bibelstudium zu widmen. Diese Praxis weckt zunehmend Unmut und hat zu einem Streit geführt, der der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu ihre erste ernsthafte Krise beschert. Seine ultraorthodoxen Koalitionspartner drohen, das Bündnis platzen zu lassen, wenn die Mittel für ihre Wählerschaft gekürzt werden.
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Angeheizt wird die Debatte durch Urteile des Obersten Gerichtshofs, einen ehrgeizigen Bildungsminister und die höchst unpopulären Kosten der Unterstützung einer schnell wachsenden Bevölkerungsgruppe, die kaum ins 21. Jahrhundert zu passen scheint. Der Streit geht weit über das Finanzielle hinaus. Er berührt das Wesen des jüdischen Staates in der modernen Welt und die Rolle der ultraorthodoxen Gemeinde darin. Viele säkulare Israelis betrachten die Strenggläubigen mit ihrer großen Kinderschar als finanzielle Belastung und sind immer weniger bereit, sie zu subventionieren, wenn die Hälfte das Thora-Studium der Erwerbsarbeit vorzieht und die Kinder kaum Mathematik und Naturwissenschaften lernen. Wenn das so weitergehe, warnen sie, könne das dem modernen Israel den Boden entziehen.
Im Mittelpunkt des Konflikts stehen die Schulen. Bildungsminister Gideon Saar, ein Jungstar in Netanyahus Likud-Block, will die halbautonomen ultraorthodoxen Schulen stärker an die Kandare nehmen. Rund 245.000 Schüler, etwa jedes sechste Kind, besuchen laut Ministerium solche Schulen mit religiösem Schwerpunkt in Trägerschaft gemeinnütziger Organisationen. Führende Rabbiner wandten sich kürzlich auf einer Krisensitzung gegen Saars Vorhaben. Sie argumentieren, dass die Schulen der religiösen Ausbildung dienten und das Bibelstudium das Überleben des jüdischen Volkes seit Jahrtausenden sichere. "Bei Bildung geht es nicht nur um Wissen, sondern auch um Werte", sagt der ultraorthodoxe Abgeordnete Uri Maklev.
Schulen schummeln
Nach geltenden Regeln müssen ultraorthodoxe Schulen den amtlichen Lehrplan in dem Maße vermitteln, wie sie staatliche Mittel erhalten. Voll finanzierte Schulen müssen ihn voll übernehmen, zu 50 Prozent unterstützte nur zur Hälfte. Bei einer Nachprüfung des Bildungsministeriums kam heraus, dass fast 20 Prozent der Schulen ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Saar kündigte an, ihre Mittel zu kürzen, und stellte mehr Inspektoren ein.
Die "Haredim" genannten Ultraorthodoxen machen etwa zehn Prozent der 7,6 Millionen Einwohner aus. Als Zünglein an der Waage im zersplitterten Parteiensystem besitzen sie beträchtlichen politischen Einfluss. Den auf ihre Unterstützung angewiesenen Regierungskoalitionen handelten sie überproportionale Mittel für Schulen, Kindergeld und Sozialleistungen ab, um Männern das Religionsstudium in Seminaren ermöglichen. Vom Militärdienst sind sie befreit. Die Familien leben in der Regel in abgesonderten Vierteln und haben mit dem Rest der Welt wenig zu tun.
Der Oberste Gerichtshof hatte entschieden, dass die Stipendien für Seminaristen eine Benachteiligung der Universitätsstudenten darstellen. Ultraorthodoxe Parteien drohen, das Regierungsbündnis zu verlassen, wenn die Stipendien nicht per Gesetz abgesichert würden. Einer ihrer Abgeordneten brachte einen maßgeschneiderten Gesetzesantrag ein, der das Urteil elegant umschifft: Stipendien sollen demnach alle Studenten bekommen, die verheiratet sind, mindestens drei Kinder haben, kein anderes Einkommen und kein Auto besitzen. Davon würden 11.000 Seminaristen profitieren, aber nur 200 Universitätsstudenten.
Ein Aufschrei der Empörung war die Folge. Studenten protestierten im Parlament und kündigten Demonstrationen an. Politiker wandten sich gegen den Entwurf. Netanyahu wies einen Ausschuss an, binnen zwei Wochen einen Kompromiss zu finden. Bildungsminister Saar nannte die Gesetzesinitiative einen Schlag gegen die Gleichbehandlung, "Israels Wirtschaft und die Integration der Ultraorthodoxen in die Erwerbsbevölkerung". In einer Umfrage sprachen sich 75 Prozent der jüdischen Israelis dafür aus, die Subventionen zu kürzen.