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Um Einheit bemüht

Von Martyna Czarnowska

Politik

Bei Gipfeltreffen wollen die EU-Staats- und Regierungschefs gegenüber den Briten Härte demonstrieren.


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Brüssel/Wien. Der Brief fiel diesmal länger aus als sonst. Und Donald Tusk fügte dem Einladungsschreiben an die Staats- und Regierungschefs der EU auch noch zwei Dokumente an, um seinen Standpunkt darzulegen. Der EU-Ratspräsident leitet das zweitägige Gipfeltreffen der Spitzenpolitiker, das am heutigen Donnerstag in Brüssel beginnt. Dabei will er nicht nur die Themen Migration, Digitalisierung und Verteidigung besprechen. Er möchte ebenfalls eine Debatte darüber anstoßen, wie Entscheidungen in der Gemeinschaft zunächst schneller getroffen und danach rascher umgesetzt werden können.

Einige Vorschläge dafür hat Tusk in einer "Führungsagenda" zusammengefasst, die er dem Einladungsbrief beigefügt hat. Es gelte nämlich "das Gefühl der Machtlosigkeit" zu überwinden, "wo politische Interessen oder bürokratische Trägheit Ergebnissen im Weg stehen". Zu dem Zweck sollten die Staats- und Regierungschefs schwierige Themen selbst beraten und dann direkt die Lösungsansätze bestimmen. Das könnte häufigere Treffen notwendig machen als bisher. Regulär kommen die Spitzenpolitiker vier bis sechs Mal im Jahr zusammen.

Vor den Sitzungen will Tusk künftig "Entscheidungshinweise" vorlegen. Wenn die Diskussion keine Ergebnisse bringt, sollten die Politiker deklarieren, ob sie weiter beraten wollen oder eine Gruppe von willigen Ländern mit einer Initiative voranschreitet.

Auf den ersten Blick scheint das dem Konzept zu ähneln, das der französische Staatspräsident Emmanuel Macron forcieren möchte. Er hätte wenig gegen ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten einzuwenden, in dem einige Staaten mit einem bestimmten Ziel enger kooperieren - im Idealfall mit dem Tandem Paris-Berlin als Schrittmacher.

Doch Donald Tusk schwebt nicht unbedingt das vor. Der Pole wird nicht müde zu betonen, wie wichtig Einheit für die Union sei. Die europäische Gemeinsamkeit sei "unsere größte Stärke", schreibt der Ratspräsident. Nur geeint könne sich die Gemeinschaft Herausforderungen wie der Migrationskrise, den "unfairen Aspekten der Globalisierung" und der Schadensbegrenzung durch den Brexit stellen.

Dieser wird denn auch die Staats- und Regierungschefs bei ihrer Zusammenkunft einmal mehr beschäftigen. Die britische Premierministerin Theresa May wird ihre Amtskollegen beim Abendessen über die Strategie ihres Landes zum Austritt aus der EU informieren. Die Beratungen am morgigen Freitag werden allerdings ohne May fortgesetzt.

Zwist ums Geld

Dass die Britin den Europäern so weit entgegenkommt, dass den stockenden Brexit-Verhandlungen neuer Schwung verliehen wird, ist freilich nicht zu erwarten. May steht auf der Insel unter Druck, selbst in ihrer konservativen Partei hat sie keinen bedingungslosen Rückhalt. Hinzu kommen die Attacken von Außenminister Boris Johnson, der die Aussagen der Premierministerin oft konterkariert. So mancher britische Politiker unterstützt außerdem das Motto: "Kein Deal ist besser als ein schlechter Deal" - auch wenn die Folgen eines ungeordneten Ausscheidens aus der EU vor allem für die Wirtschaft des Landes wohl schwerwiegend wären.

Eine Annäherung der Positionen hatte weder eine Gesprächsrunde in der Vorwoche gebracht noch der Reigen an Treffen, die May diese Woche in Brüssel absolvierte. Die Streitpunkte sind ungelöst. Dazu gehören die finanziellen Verpflichtungen Großbritanniens gegenüber der Gemeinschaft, die Bleibe- und andere Rechte für EU-Bürger, die auf der Insel leben, sowie die Ausgestaltung der Grenze zwischen Nordirland und Irland.

Der Zwist ums Geld ist dabei einer der heftigsten. Offiziell sind zwar keine Summen genannt, doch kursieren Berechnungen, wonach das Königreich bis zu 60 Milliarden Euro an die EU zahlen müsste. Für London ist dies zu hoch gegriffen. Stattdessen war dort schon einmal von zwanzig Milliarden Euro die Rede.

Diese Zahl ist für EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani lediglich eine "Bagatelle". "Das Problem sind 50 oder 60 Milliarden Euro; das ist die wirkliche Situation", erklärte er dem britischen Sender BBC. Die britische Regierung sei nicht realistisch, und die Europäer wollen ihr Geld zurück.

Reden über den Handel

Überhaupt scheint die EU derzeit nicht zu großen Zugeständnissen gegenüber Großbritannien bereit. Schon um den Entwurf des Gipfel-Schlussdokuments wurde heftig gerungen. Dabei sollen vor allem Deutschland und Frankreich darauf gepocht haben, Härte zu demonstrieren, um London zu ernsthaften Verhandlungen zu bewegen. Ein Druckmittel dabei sind Gespräche über das künftige Verhältnis zwischen den beiden Partnern, die das Königreich so rasch wie möglich beginnen möchte. Die EU hingegen knüpft das an den Fortschritt der bisherigen Verhandlungen.

Das soll nun auch in der Gipfelerklärung erneut festgehalten werden. Damit zeichnet sich ab, dass der Start für die Beratungen über die künftigen Handelsbeziehungen frühestens beim nächsten Spitzentreffen im Dezember fixiert wird. Einen Automatismus gibt es allerdings nicht. Die EU will sich nur intern auf die Gespräche vorbereiten. Diese könnten dann aufgenommen werden, sobald sich die britische Regierung auf die Europäer zubewegt. Die Zeit wird jedenfalls knapp: Zu Jahresende bleiben gerade einmal fünfzehn Monate bis zum EU-Austritt der Insel.