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Um Favoriten muss man werben

Von Selina Nowak

Politik
Mit Kopfhörern am Würstlstand: Monika Bratic (r.) und Michael Hieslmair an den Schauplätzen von "Post it!".
© © Rania Moslam

"Post it!" zeigt das Leben in Favoriten auf einem Parcours und im Internet.


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Wien. Folgt man den Medienberichten, so wäre Favoriten absolutes No-Go Gebiet, voll von Kriminalität, Verkehrsunfällen, Hasspredigern und FPÖ-Stammtischen, die sich über Ausländerwohnheime echauffieren. Folgt man aber einfach seiner Neugier, so ist Favoriten ein unglaublich bunter, aufregender, schnelllebiger und spannender Ort. Der Stadtteil wäre nach Wien, Linz und Graz die einwohnerreichste "Stadt" Österreichs. Der traditionelle Arbeiterbezirk ist schon seit jeher, als noch im 19. Jahrhundert die "Ziegelböhmen" kamen, ein Schmelztiegel der Nationen - und gilt doch nach wie vor als kulturelle Peripherie.

Genau deshalb ist Favoriten interessant für Wolfgang Schlag, den künstlerischen Leiter von "Into The City", einem Ableger der Wiener Festwochen, mit dem das Festival seit 2006 in den Randbezirken Wiens aktiv ist. "Dort spielt sich das wahre Leben ab. Nicht im achten oder im ersten Bezirk. Es ist viel spannender in Favoriten, Floridsdorf oder Meidling Kulturarbeit zu leisten. Diese Bezirke bilden die Realität einer Stadt ab."

In einer großen alten Backsteinfabrik in der Quellenstraße hat "Into The City" heuer erstmalig ein Festivalzentrum eingerichtet. Dort werden Projekte koordiniert, Workshops organisiert, Filme gezeigt sowie Konzerte gegeben. Alles gratis versteht sich - denn es soll, so die Idee von "Into The City", ein Publikum erreicht werden, das sonst von den Festwochen wenig mitbekommt.

Das funktioniert in Favoriten nur bedingt. Bei der Eröffnung war das Festivalzentrum zwar noch rappelvoll, doch seitdem lassen sich nur sporadisch Besucher blicken. Auch die Konzerte und DJ-Abende - von Oriental, Hip Hop bis zu Balkan reicht das Spektrum - sind eher spärlich besucht. Zu wenig Werbung wurde offensichtlich gemacht - weder aus der Innenstadt, noch aus der Umgebung kommen Leute.

Dabei gäbe es gerade für Gäste, die nicht aus dem Viertel sind, überaus Interessantes anzuschaun. Entlang des "Post It!"-Parcours kann sich der Besucher an verschiedenen Stationen rund um die Quellenstraße künstlerische Arbeiten zu Gemüte führen, die sich mit dem jeweiligen Ort auseinandersetzen. Das Konzept ist nicht neu, erklärt Koordinator Michael Hieslmaier, sondern "mittlerweile ein eigenes Genre - eine Mischung aus Bürgerjournalismus und interventionistischer Kunst." Es sollen punktuell überraschende kleine Akzente gesetzt werden, über die der Stadtbetrachter manchmal erst drüberstolpern müsse.

"Journalismus von unten"

Im Cafe Leibniz dreht sich alles um die Marktschreier, die hier jedes Wochenende direkt vor der Tür lautstark ihre Ware anpreisen. Mehrere Kopfhörer und Fotos hängen an den Wänden - akustische und visuelle Porträts der Standler. Auch an der Würstelbude "Alles Walzer, alles Wurst" am Quellenplatz hängen Kopfhörer. Hier gibt es echte Berliner Currywurst in vier Schärfestufen, "Witwenmacher" heißt Nummer vier. Beim Verzehr derselbigen kann man sich Interviews über die gefühlte Sicherheitslage in Favoriten anhören. In Ali’s Teestube begleitet man den Besitzer in einem Film durch sein Viertel und bekommt dabei viel Philosophisches mit auf den Weg.

Leider geht der "Post It!"-Parcours ziemlich im Alltagstrubel Favoritens unter. Denn wen interessieren schon ein paar Kopfhörer, wenn man die Marktschreier, die Würstlstandkunden, Ali und andere Originale live vor Ort haben kann? An Originalen fehlt es in Favoriten nicht; dazu gehört auch Monika Bratic. Die Online-Chefin vom Magazin Biber ist in Favoriten aufgewachsen und betreut nun den "Post It!"-Blog, der von "Into The City" als Online-Community Plattform zusätzlich zum Parcours ins Leben gerufen wurde (quellenstrasse.net). "Journalismus von unten" können die Bewohner Favoritens dort betreiben: sich austauschen, Veranstaltungen ankündigen, Fotos und Videos posten. Geht man mit Monika Bratic durch die Favoritner Straßen, zückt sie ständig das Handy, um Interessantes oder Kurioses für den Blog zu fotografieren - das kann irgendein Flyer für eine Veranstaltung sein, ein toller Oldtimer oder eine lustige Schaufensterauslage.

Wenn alles gut läuft, wird der Webblog auch nach den Festwochen weiter bestehen bleiben. Für jene, die mit dem Bloggen noch weniger vertraut sind, gibt es die Möglichkeit auch analog, mittels echter "Post Its", im Festivalzentrum kleine Nachrichten an eine Wand zu pinnen. Diese wird hauptsächlich von Jugendlichen zum Austausch von Liebesbotschaften genützt. "Ich liebe dich" steht da in vielen Sprachen. Ein Bub hängt eine Zeichnung von einem Frauenhintern auf. "Das ist ein Hund" grinst er und malt zwei Ohren dazu.

Der wirkliche Renner des "Post It!"-Projekts ist aber das "Quellen Quiz". Jeden Donnerstag treten Teams in acht Lokalen gegeneinander an. Die Stammkundschaft des "Rendezvous" hat sich dafür mächtig ins Zeug gelegt, Stadtchroniken und Geschichtsbücher hätten sie gewälzt, um sich auf die Quizfragen, die sich rund um das Viertel drehen, vorzubereiten. Für das Gewinnerteam winken Getränkegutscheine, das Gewinnerlokal bekommt einen riesigen Wanderpokal. Der Beislwirt des "Rendezvous" ist überglücklich, dass "hier endlich mal jemand was macht!" Schon früher hätte er Straßenfeste organisiert - aber es sei immer schwierig gewesen, Leute zu motivieren. Er hofft, das ändert sich nun.

Monika Bratic ist da guter Dinge. "Ich sehe mich quasi als PR-Expertin für Favoriten", den Ruf ihres Viertels zu verbessern erfordere viel Geduld, doch "Favoriten ist wie eine schöne Frau, um die man wirbt; da gibt man ja auch nicht gleich auf."