Ohrfeige für Khamenei und die Ultrakonservativen. Politischer Ziehsohn von Ex-Präsident Rafsanjani wird Präsident.
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Teheran/Istanbul. Drei Tage nach dem überraschenden Wahlsieg des moderaten Klerikers Hassan Rohani herrscht im Iran Umbruchsstimmung. Die Mehrheit der rund 51 Millionen wahlberechtigten Perser hat mit dem eindeutigen Votum für den politischen Ziehsohn von Expräsident Ali Akbar Hashemi-Rafsanjani (rund 51 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von rund 72 Prozent) zwei klare Signale an den Obersten Geistlichen Führer, Ayatollah Seyed Ali Khamenei, gesendet.
Zum einen haben die Wähler genug vom eigenwilligen Konfrontationskurs gegenüber dem Westen und der eigenen Bevölkerung, den Mahmoud Ahmadinejad acht Jahre lang konsequent durchgezogen hat und der das Land an den Rand des Wirtschaftskollaps brachte. Zum anderen will man vor allem eines wieder zurück: die Freiheit bezieh-ungsweise die Bürgerrechte.
Neue Töne und große Hoffnung nach Protestwahl
Vom Öffnen der Schlösser, die den Weg zur Freiheit versperren, von einem neuen Kapitel in der Geschichte Irans, vom schnellen Vergessen der bitteren acht Jahre unter Ahmadinejad ist bei Rohanis Ansprachen die Rede. Eine Bürgerrechtscharta soll her und er wolle nicht eher ruhen, bis seine Versprechen durchgesetzt würden. Mit dem Westen will er Kooperation statt Konfrontation, das Gemeinsame vor das Trennende stellen und einen respektvollen Umgang miteinander.
Neue Töne, große Erwartungen. Dutzende Treffen seit der Wahl - unter anderen mit Khamenei und Rafsanjani - hat er in den letzten Stunden absolviert. Er will schnell agieren und alles vorbereiten, um den Iran aus der Krise zu führen.
Doch was kann Rohani angesichts der Tatsache, dass der Präsident im Iran nur eingeschränkte Machtbefugnisse hat, schon groß bewirken, fragten sich am Montag die Skeptiker und warnten vor einer Vorfreude und von "unerfüllbaren Forderungen" (siehe Kasten) an den designierten Präsidenten, der im August offiziell sein Amt antritt.
Sie sollten sich nicht täuschen lassen, denn Rohani hat als einziger moderater Pragmatiker, der von den Reformern unterstützt wurde, gewonnen und somit seine fünf konservativen Widersacher, die allesamt aus Khameneis Umfeld stammen, hinter sich gelassen. Die Umstände, die zu seinem Wahlsieg, an den vor drei Wochen noch niemand geglaubt hätte, geführt haben, eröffnen ihm ungeahnte Freiräume zu großen Taten.
Dass Rohani gewonnen hat, ist nämlich nicht damit zu begründen, dass alle seine Wähler auch Fans von ihm sind. Nein, es war ein Protestvotum, eine Ohrfeige für die Hardliner rund um Khamenei und den Chef des Wächterrates, Ayatollah Jannati. Sie waren es gewesen, die Rafsanjani nicht zur Wahl zugelassen und für die große Überraschung im Vorfeld der Wahl gesorgt hatten.
Irans "Richelieu" zieht wieder die Fäden
Rafsanjani revanchierte sich und unterstützte gemeinsam mit Ex-Präsident Mohammad Khatami (einem Reformer) Rohani und bekam seine süße Rache. Denn eines ist klar: Das nächste Kapitel im inneren Machtkampf zwischen Rafsanjani und Khamenei hat nach dieser Wahl begonnen. Irans "Kardinal Richelieu" Rafsanjani, der als graue Eminenz ab nun wieder verstärkt die Fäden ziehen wird, hat Rohani am Montag seine volle Unterstützung zugesagt und auch dafür gesorgt, dass 225 von 290 Abgeordneten des iranischen Parlaments (Majles) eine schriftliche Erklärung abgaben, in der sie dem designierten Präsidenten "jegliche Bereitschaft zu einer kooperativen Zusammenarbeit" zusagten.
"Irgendwie kommt ungeahnte Bewegung hinein in die Innen- und Außenpolitik, der Geruch der Veränderung liegt überall in der Luft", meinte einer der iranischen Abgeordneten.
Rafsanjani war es auch, der sich am Sonntag und Montag an vorderster Front den Fragen der Journalisten stellte und der iranischen Nation für die "historische Wahl" dankte. Daher ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass Rohani von vielen iranischen Oppositionszeitungen als "jüngeres Abbild Rafsanjanis" oder dessen rechte Hand bezeichnet wird.
Im Westen glauben viele, dass der Präsident im Iran eine Marionette Khameneis ist, doch am Beispiel Ahmadinejad konnte man sehen, dass es auch "abstruse Eigenwege" abseits des Büros von Khamenei gibt. Rohani wird den Obersten Führer jedenfalls auf Trab halten. Denn er ist weder mit der Zensur noch mit dem Umgang mit der Jugend zufrieden. Und mit Rafsanjani als Stütze kann er viel bewirken.