Elektronische Verrechnung statt Reverse Charge. | Finanzminister will noch abwarten. | Wien. Österreich könnte bald eine neue Waffe im Kampf gegen den Mehrwertsteuerbetrug gebrauchen. Nach jahrelangem Bemühen um die Einführung des sogenannten Reverse-Charge-Systems scheint Finanzminister Wilhelm Molterer diese Woche diesbezüglich endgültig bei seinen EU-Kollegen abgeblitzt zu sein. Offiziell hat sich der Vizekanzler zwar lediglich eine Nachdenkpause verordnet, hinter den Kulissen wird jedoch davon ausgegangen, dass ein von Österreich angestrebter Pilotversuch endgültig vom Tisch ist.
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Dabei scheint eine effektive Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs dringend nötig: Schätzungen gehen von einem Gesamtschaden innerhalb der EU von 60 bis 250 Mrd. Euro und in Österreich von 1,4 bis 2 Mrd. Euro aus. Die gängigste Form des Betruges ist dabei der Vorsteuerbetrug: Unternehmen können sich die Umsatzsteuer, die sie anderen Unternehmen - etwa für Warenlieferungen - bezahlen, nämlich als Vorsteuer von der Finanz zurückholen. Dabei wird freilich davon ausgegangen, dass der Verkäufer seinerseits die Umsatzsteuer ordnungsgemäß abliefert. Geschieht dies nicht, muss der Fiskus die Vorsteuer quasi aus der eigenen Tasche berappen.
Die von Österreich angestrebte Reverse-Charge hätte dem einen Riegel vorschieben sollen, indem die Umsatzsteuerpflicht praktisch ans Ende der Lieferkette verschoben wird. Das komplizierte Vorsteuer-System dazwischen würde praktisch abgeschafft.
Während die EU scheinbar lieber auf klassische Formen der Betrugsbekämpfung - wie etwa bessere Kontrollen - setzt, könnte Österreich nun einen neuen Weg gehen: Der Finanzbeamte Norbert Mattes hat ein System entwickelt, das vorsieht, dass sich Käufer und Verkäufer beim Geschäftsabschluss online bei der Finanz akkreditieren. Der Käufer zahlt nur den Nettobetrag, wodurch de facto weder eine Umsatzsteuerschuld noch ein Recht auf eine Vorsteuer-Gutschrift entsteht.
Deadline bis Juni
Beides wird lediglich zur fiktiven Größe in den Computern der Finanzverwaltung, die Schuld und Gutschrift quasi intern ausgleicht. Während de jure alles beim Alten bleibt, ist in der Praxis die Betrugsgefahr gebannt. Laut Mattes könnte Österreich dieses System ohne EU-Beschluss einführen. Unter Bezugnahme auf Gespräche mit dem Bundesrechenzentrum im Jahr 2002 schätzt der Betriebsprüfer die Anschaffungskosten für die Finanz auf rund 30 Mio. Euro. Dazu kämen jährlich Betriebskosten von etwa einer Mio. Euro. Bei den Lizenzgebühren - Mattes hat sich das System patentieren lassen - würde man sicher einig werden, gibt er sich zuversichtlich. Tatsächlich denkt Finanzminister Molterer aber - zumindest offiziell - noch nicht über Alternativen zur Reverse-Charge nach. Es gebe eine Deadline bis zum EU-Finanzministerrat im Juni, so ein Sprecher. Sollten die Rahmenbedingungen für einen Pilotversuch aber nicht gegeben sein, werde man dieses Angebot zurück ziehen.
Ob dann das - bereits unter Molterers Vorgänger Karl-Heinz Grasser - zugunsten der Reverse-Charge auf Eis gelegte Mattes-System zum Einsatz kommt, bleibt abzuwarten.