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Umfahren oder umsteigen

Von Alexander Dworzak

Politik
Seit zwei Wochen werden die Verbotsschilder aufgestellt.
© reu/Bimmer

Heute tritt in Hamburg - als erster Stadt in Deutschland - das Fahrverbot für ältere Diesel-Fahrzeuge in Kraft.


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Hamburg/Wien. Es sind lediglich 580 Meter. Doch auf diesem vierspurigen Teilstück der Max-Brauer-Allee in Hamburg wird am Donnerstag Geschichte in der Verkehrs- und Umweltpolitik geschrieben. Ab dann dürfen Autos mit Dieselantrieb diesen Abschnitt nur mehr befahren, sofern die Fahrzeuge die Abgasnorm Euro 6 bei Pkw beziehungsweise Euro VI bei Lastkraftwagen erfüllen. Auch auf einem 1,6 Kilometer langen Stück der Stresemannstraße, ebenfalls im Bezirk Altona gelegen, wird ein Fahrverbot eingeführt. Dieses betrifft allerdings nur Lastkraftwagen.

Hamburg ist damit die erste deutsche Stadt, die Fahrverbote umsetzt, während in Österreich ein derartiger Schritt derzeit nicht in Sicht ist. Den Weg dazu ebnete das deutsche Bundesverwaltungsgericht im Februar. Es erklärte Fahrverbote als letztes Mittel zur Reinhaltung der Luft als zulässig - allerdings müsse eine angemessene Vorlaufzeit gegeben sein. Im April kündigte das rot-grün regierte Bundesland an, diesen Schritt umzusetzen. In den vergangenen zwei Wochen wurden entsprechende Verbots- und Umleitungsschilder aufgestellt.

272 Einwohner in der Max-Brauer-Allee und 1515 in der Stresemannstraße sollen von der Maßnahme unmittelbar profitieren. Hier liegen die Stickoxid-Emissionen (NOx) deutlich über dem von der EU vorgeschriebenen Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter. Anrainer, die selbst einen alten Diesel-Pkw fahren, dürfen jedoch weiterhin dort unterwegs sein. Das gilt ebenso für Müllfahrzeuge, Krankenwagen und Lieferdienste. Für die Stadtregierung sind die Sperren Teil eines "Luftreinhalteplans", der auch den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, die Modernisierung der kommunalen Busflotte und die Förderung des Radverkehrs vorsieht. Die Sperrung weiterer Straßenzüge ist nach jetzigem Stand aber nicht geplant. Als "Regelungswut" und "reine Symbolpolitik" verurteilen hingegen die Oppositionsparteien CDU und FDP die Fahrverbote.

168.000 Diesel-Pkw betroffen

Betroffen ist die überwältigende Mehrheit der Hamburger Dieselfahrer. Anfang des Jahres waren rund 264.000 Diesel-Pkw zugelassen. Davon entsprachen lediglich 96.000 Fahrzeuge der Euro-6-Norm. Die Lenker von 168.000 Autos müssen also künftig Umfahrungsstrecken in Kauf nehmen oder sie steigen gleich auf die Öffis oder das Fahrrad um. Pendler oder Hamburg-Besucher sind ebenfalls betroffen.

Schlecht steht auch die deutsche Bundesregierung da. Denn seit 2010 gilt der NOx-Grenzwert, mehrfach mahnte die EU-Kommission Besserung in der Bundesrepublik ein, wo 70 Städte über den Emissionsvorgaben liegen. Mitte Mai gab die Kommission bekannt, sie werde Deutschland sowie die weiteren säumigen Länder Frankreich, Großbritannien, Italien, Rumänien und Ungarn vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Bußgelder in Millionenhöhe könnten folgen.

Der Regierung in Berlin findet gegenüber den Autobauern keine einheitliche Linie. Zwar gilt Kanzlerin Angela Merkel als verstimmt, sie fühle sich von der Industrie, der sie international Tür und Tor geöffnet hat, durch den Diesel-Skandal hintergangen. Bei der Nachrüstung alter Diesel-Pkw, um die Emissionen zu senken, stellt sich Merkels konservative Union jedoch weiterhin quer - und damit gegen die SPD-Umweltministerin Svenja Schulze. Ihr zufolge könnten die Schadstoff-Grenzwerte "in einem Dutzend Städte" nicht eingehalten werden, falls keine Hardware-Nachrüstungen erfolgen. CDU/CSU argumentieren im Verband mit der Autoindustrie, man solle nicht Milliarden in die Verbesserung veralteter Technologien stecken; je nach Fahrzeugtyp könnte die Nachrüstung bis zu 3000 Euro pro Pkw kosten. Die Industrie braucht angesichts ihrer Schwäche bei E-Autos den Diesel, um ihre CO2-Ziele erfüllen zu können.

Um diesen Spagat zu meistern, verweisen die Autobauer auf Umstiegsprämien für Euro-6-Pkw. Doch auch hier fehlt es nicht an schlechten Nachrichten. Zuletzt gesehen Anfang Mai: Audi musste 120.000 Pkw aufgrund unzulässiger Abschalteinrichtungen zurückrufen.

Die Kunden reagieren mit einer Flucht aus dem Diesel. Binnen drei Jahren sanken die Neuzulassen bei Selbstzündern von 33,4 Prozent auf 18 Prozent. Händler bekommen ihre gebrauchten Dieselfahrzeuge nur mehr mit Mühe los. Von durchschnittlich 2000 Euro Abschlag pro Pkw spricht der Automobilforscher Ferdinand Dudenhöffer. Folgen weitere Städte - allen voran Stuttgart und München - dem Hamburger Beispiel, droht ein weiterer Preisverfall.