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Umfragen deuten auf Rechtsruck bei EU-Wahlen

Von Rainer Mayerhofer

Europaarchiv

Fast 349 Millionen Europäer sind bis Sonntagabend aufgerufen, die 732 Abgeordneten des neuen EU-Parlaments zu wählen. Mehr als 14.000 Kandidaten bewerben sich um Mandate. Die letzten veröffentlichten Umfragen deuten darauf hin, dass in fast allen Ländern die Regierungsparteien einen Denkzettel erhalten werden. Gleichzeitig könnte es zu einem Rechtsruck im Europaparlament kommen. Vor allem euroskeptische und rechtspopulistische Parteien könnten an Einfluss gewinnen.


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Die Niederlande und Großbritannien hatten ihre EU-Abgeordneten bereits am Donnerstag gewählt. Während die Briten ihre Wahlergebnisse erst am Sonntag bekannt geben, sich aber in den Umfragen eine Schlappe für die regierende Labour-Partei abzeichnete und ein Erfolg für die euroskeptische UK Independent Party, musste in den Niederlanden die regierenden Christdemokraten leichte Einbußen verzeichnen.

Freitag wählten bereits die Iren und auch in Tschechien begann der zweitägige Wahlgang. Heute, Samstag ist in Lettland und Malta Wahltag und auch die Italiener wählen an zwei Tagen: heute und morgen. In allen anderen Ländern ist am Sonntag Wahltag.

Mit großem Interesse werden die Wahlen in Italien verfolgt, wo 25 Gruppierungen um die 78 Sitze kämpfen. Hatte man vor wenigen Tagen noch erwartet, dass das Regierungsbündnis von Ministerpräsident Silvio Berlusconi vom Wähler bestraft wird, so ist nach der Befreiung der drei italienischen Geiseln im Irak wieder alles offen.

SPD befürchtet Schlappe

In Deutschland zeichnet sich eine Wahlschlappe der regierenden Sozialdemokraten von Kanzler Gerhard Schröder ab. Nach ihrer Wahlniederlage bei den Regionalwahlen fürchten auch die französischen Regierungsparteien eine weitere Schlappe.

Optimistisch gehen die spanischen Sozialisten in die Wahl. Die letzten veröffentlichten Umfragen sagen ihnen voraus, dass sie ihren am 13. März bei den Parlamentswahlen erreichten Vorsprung vor der Volkspartei weiter ausbauen können. Auch im benachbarten Portugal gehen die Sozialdemokraten vor den regierenden Konservativen als Favoriten in die Wahl. Nicht abzusehen ist, wie weit der Tod des sozialistischen Spitzenkandidaten Antonio de Sousa Franco, der am Mittwoch während einer Wahlrede einen Herzinfarkt erlitten hatte, Auswirkungen auf das Wahlverhalten der Portugiesen hat.

In Tschechien sehen Umfragen die rechte und euroskeptische Oppositionspartei ODS mit Abstand vorne.

In Polen kann die radikal anti-europäische Partei Samobroona (Selbstverteidigung) mit 13 Prozent der Stimmen rechnen - dem zweitbesten Ergebnis nach der liberalen Opposition (24 Prozent).

Insgesamt könnte Experten zufolge damit die Zahl der euro-feindlichen und nationalistischen Abgeordneten im Straßburger Parlament auf bis zu hundert ansteigen. In der letzten Legislaturperiode waren es etwa 60 - vor allem französische, dänische und britische Gegner einer stärkeren europäischen Integration, sowie Rechtsextreme. Ihr Einfluss war jedoch begrenzt, weil sie in mehrere Fraktionen zersplittert waren.

Wahlausgang entscheidend für Kommissionspräsidenten

Der Ausgang der Europawahl dürfte auch die Wahl des neuen EU-Kommissionspräsidenten bestimmen. Die bürgerliche Europäische Volkspartei (EVP) hat mehrfach deutlich gemacht, dass sie auf einen Kommissionspräsidenten aus ihrem Lager besteht, sollte sie im neuen Parlament wieder die stärkste Fraktion stellen. Ob ihr dies gelingt, dürfte nicht zuletzt vom Erfolg einer Initiative des bisherigen Kommissionspräsidenten Romano Prodi abhängen: Dessen linksliberale Liste "Vereint im Ölbaum mit Prodi" will im neuen Europaparlament eine neue Fraktion gründen, der sich neben Liberalen auch ein Teil der bisherigen EVP-Mitglieder anschließen dürften.

In der zurückliegenden Legislaturperiode war die EVP-Fraktion mit 232 Mitgliedern mit Abstand die stärkste Gruppe im Europaparlament, gefolgt von den Sozialisten (175), Liberalen (53) und Grünen (44). 49 Abgeordnete, darunter Vertreter der PDS und einige Kommunisten, waren in der "Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken" zusammengeschlossen.

Zwei euroskeptische Gruppen, die "Union für das Europa der Nationen" und die "Fraktion für das Europa der Demokratien und der Unterschiede" zählten zusammen 41 Mitglieder. 32 Abgeordnete, darunter französische und belgische Rechtsextreme, Mitglieder der FPÖ und einige italienische Linksradikale, waren fraktionslos.

Sitzverteilung

Die alten EU-Länder:

99 Deutschland

78 Frankreich

78 Italien

78 Großbritannien

54 Spanien

27 Niederlande

24 Belgien

24 Griechenland

24 Portugal

19 Schweden

18 Österreich

14 Dänemark

14 Finnland

13 Irland

6 Luxemburg

Die neuen EU-Länder:

54 Polen

24 Tschechien

24 Ungarn

14 Slowakei

13 Litauen

9 Lettland

7 Slowenien

6 Estland

6 Zypern

5 Malta