Die Qualität der Gesetzgebung zeigt Schwächen, sagt der Präsident des Rechtsanwaltskammertages Rupert Wolff.
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Wien. Es sei die Aufgabe der Rechtsanwälte, jenen zu helfen, die alleine nicht dazu in der Lage sind. Vor allem gegenüber staatlicher Übermacht, Unrecht und Verfolgung, sagt Rupert Wolff, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages. Aber auch dann, wenn die Grund- und Freiheitsrechte der Bürger aufgrund überschießender Maßnahmen der Regierung selbst bedroht sind, sei es die Aufgabe der Rechtsanwälte, darauf hinzuweisen. Im Interview mit der "Wiener Zeitung" erklärt Wolff, welche die größten Missstände unseres Rechtsstaates sind und wohin die Personalknappheit in der Staatsanwaltschaft führen kann.
"Wiener Zeitung":Präsident Wolff, vor kurzem hat der Österreichische Rechtsanwaltskammertag seinen Wahrnehmungsbericht präsentiert, der alljährlich erscheint. Welche sind die größten Missstände in unserem Rechtsstaat?Rupert Wolff: Der von uns erstellte Indikator "Fieberkurve des Rechtsstaates" zeigt in den Bereichen Qualität der Gesetzgebung aber auch in der Strafrechtspflege Schwächen. Das deckt sich mit einer Umfrage unter Anwälten, und das deckt sich vor allem mit dem, was wir seit Jahr und Tag kritisieren. Zu kurze Begutachtungszeiten, keine ausreichende Würdigung der Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren und im Strafrecht vor allem immer wieder Probleme mit der Akteneinsicht und der Umgehung der anwaltlichen Verschwiegenheit.
Das Asyl- und Fremdenrecht wurde innerhalb von zehn Jahren 13 Mal novelliert. Der Verdacht liegt nahe, dass auch hier Begutachtungsfristen nicht eingehalten wurden.
Leider beobachten wir immer wieder, dass die vom Bundeskanzleramt als Mindestfrist vorgesehenen sechs Wochen zur Begutachtung eines Gesetzesentwurfes bei weitem nicht eingehalten werden - auch im Bereich des Asyl- und Fremdenrechts. Das führt dazu, dass selbst die Rechtsanwender -etwa in den zuständigen Behörden - den Überblick verlieren. Von den Betroffenen ganz zu schweigen.
Welcher Missstand ist in Ihren Augen der größte - und müsste schnellstmöglich beseitigt werden?
Wenn ich mir etwas sofort wünschen könnte, ist das eine Abkehr von der Entwicklung hin zu einem Überwachungsstaat. Unsere Studie zeigt, dass Österreich im Bereich Sicherheit und Ordnung ganz ausgezeichnet aufgestellt ist, der ständige Ruf der Strafverfolgungsbehörden nach neuen Werkzeugen scheint mir unbegründet.
Was hat sich in den vergangenen Jahren verschlechtert?
Ich bemerke einen Trend hin zum leichtfertigen Umgang mit den Grund- und Freiheitsrechten der Bürger. Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung höhlt man den Rechtsstaat aus.
Was hat sich verbessert?
Im Bereich der von uns kritisierten Strafrechtspflege hat sich einiges verbessert. Es ist zum Beispiel zu begrüßen, dass im Schöffenverfahren wieder zwei Berufsrichter mit den Schöffen urteilen. Das bringt mittelfristig mehr Qualität in der Rechtsprechung. Auch die Verlängerung der Gerichtspraxis und Entschärfungen im Bereich der Gerichtsgebühren tragen zu einer allgemeinen Verbesserung bei. Hier sind wir aber noch lange nicht am Ende der Fahnenstange angelangt.
Zu hohe Gerichtsgebühren werden auch im aktuellen Wahrnehmungsbericht kritisiert. Genauso wie die Kritik an den Begutachtungsfristen sind sie fast schon so etwas wie ein fixer Bestandteil des Berichts. Wie nachhaltig ist es dann eigentlich, die Rechtspflege und Verwaltung zu beobachten und zu dokumentieren, wenn beim Aufzeigen von Missständen offenbar wenig passiert?
Gerade bei den Gerichtsgebühren hat unsere stete Kritik bereits viel bewirkt. Ich denke vor allem an die Kopierkosten von bis zu 1,20 Euro pro Seite, die so nicht mehr bestehen. Aber grundsätzlich gebe ich Ihnen Recht. Kritik zu äußern und nicht gehört zu werden, frustriert. Unsere Kritik wird sehr wohl gehört und auch verstanden. Dass unsere Justiz kostendeckend arbeiten kann und Gerichtsgebühren eine Art Zusatzsteuer darstellen, die in vielen Bereichen dem Wesen einer Gebühr überhaupt nicht entspricht, ist leider ein Problem in Österreich, ein Relikt aus dem Barock und ein Unikum in Europa.
Im Zuge der "Fieberkurve des Rechtsstaates" wurde auch ein Ländervergleich angestellt. Österreich liegt bei der Gesamtbewertung hinter Deutschland und vor Slowenien. In welchem Punkt liegt Österreich vorne respektive hinten?
Österreich hat von den insgesamt 30 Einzelwertungen elf erste Plätze, darunter etwa bei den Eigentumsrechten, der politischen Stabilität oder beim Einklagen von Vertragsinhalten. Dann hat Österreich zehn Mal als Zweiter abgeschnitten, leider aber auch neun Mal als Dritter und Letzter in diesem Ländervergleich. Auffällig dabei ist etwa die viel zu hohe Auslastung der Staatsanwälte, die Effektivität der Ermittlungsbehörden bei der Aufklärungsquote, transparente Parteifinanzierung, Informationsfreiheit und Qualität der Verwaltung.
Wie viele Fälle haben die Staatsanwälte dieser Länder jährlich zu bearbeiten?
Laut den Daten der Cepej-Studie, die uns hier die Zahlen für den entsprechenden Einzelindikator liefert, sind es in Slowenien pro Staatsanwalt 507,3 Fälle, in Deutschland 875,5 Fälle und in Österreich 1529 Fälle. Da ist es kein Wunder, wenn die Staatsanwälte überlastet sind und in manchen Fällen nicht mehr ihrem Objektivitätsgebot nachkommen können. Da werden teilweise Anklagen wie am Fließband produziert und die Gerichte mit Strafprozessen geflutet.
Ist das Personal in Österreich dafür ausreichend?
Offensichtlich nicht. Anstatt immer mehr Kompetenzen sollte man den Strafverfolgungsbehörden mehr Personal geben. Die neuen Kompetenzen sind überschießend und schaffen Arbeit, die nur schwer zu bewältigen ist. Unsere Staatsanwälte müssen wieder lernen, dass es kein Qualitätsmerkmal ihrer Arbeit ist, wenn es viele Anklagen gibt.
Wie funktioniert eine Kanzleigründung in Österreich?
Sobald jemand die gesetzlichen Anforderungen erfüllt, kann er oder sie sich bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer in die Liste der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte eintragen lassen. Insofern ist der Schritt zur Kanzleigründung ein kleiner, wenn man ein Jus-Studium abgeschlossen hat, über die erforderliche Praxiszeit verfügt, die notwendigen Ausbildungsseminare absolviert und die Rechtsanwaltsprüfung bestanden hat. Es gibt Länder, in denen die Latte etwas tiefer liegt, etwa Deutschland. Die Ausrichtung der Kanzlei wie durch Spezialisierung oder gezielte Marktpositionierung obliegt natürlich jeder einzelnen Kollegin, jedem einzelnen Kollegen. Die umfassende Ausbildung in Österreich ermöglicht es den Kollegen, in allen Rechtsgebieten tätig zu sein - wie es etwa auch im Rahmen der Verfahrenshilfe für Bedürftige notwendig ist.
Zur Person
Rupert
Wolff
Der 59-jährige Anwalt war seit 2002 Vizepräsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags (Örak) und ist seit 2011 dessen Präsident. Er ist der erst vierte Örak-Präsident in der Geschichte der anwaltlichen Dachorganisation der neun Rechtsanwaltskammern in Österreich.