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Umstrittene Lockerung

Von WZ-Korrespondentin Sonja Blaschke

Politik
"Um jeden Preis zurückbringen" , liest man auf Postern in Tokio über die vermissten Japaner.
© reu/Shino

Japan schwächt seine Sanktionen gegenüber Nordkorea ab - Experten warnen vor falschem Signal.


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Tokio. Die japanische Regierung kündigte am Donnerstag an, einige Sanktionen gegenüber Nordkorea aufzuheben oder abzuschwächen. Dies sei ein Zugeständnis für die Zusage Pjöngjangs, das Schicksal von nach Nordkorea entführten Japanern neu zu untersuchen. Die Opfer, manche noch im Teenageralter, waren in den 1970ern und 1980ern von nordkoreanischen Agenten aus Japan gekidnappt worden. Sie sollten ihnen zu Spionagezwecken Japanisch beibringen. Während 2002 fünf offiziell anerkannte Entführte nach Japan ausreisen durften, ist das Schicksal der acht verbleibenden weiter ungeklärt. Das bekannteste Opfer ist die als 13-Jährige entführte Megumi Yokota. Ihre Eltern, die überzeugt sind, dass sie noch lebt, kämpfen seit Jahrzehnten für ihre Rückkehr. Pjöngjang behauptet indes, Yokota sei verstorben. Im März durften die Eltern erstmals die Tochter ihres vermissten Kindes in Peking treffen.

Premierminister Shinzo Abe sagte, seine Regierung wolle die Sanktionen lockern, weil Nordkorea bei den Gesprächen in Peking in den vergangenen Tagen den ernsthaften Willen zur Aufklärung der Fälle gezeigt habe. Nordkorea will am Freitag eine mit 30 hochrangigen Offiziellen besetzte Untersuchungskommission einrichten, zu der Vertreter des Verteidigungsministeriums sowie des Ministeriums für Staatssicherheit zählen.

Beobachter vermuten hinter Nordkoreas plötzlicher Zugänglichkeit neben langfristigen wirtschaftlichen Motiven vor allem politisches Kalkül, das wenig mit Japan selbst zu tun hat: Das Tauwetter wird als Reaktion auf den Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Südkorea dieser Tage gesehen. Während sich ein chinesischer Präsident zuvor immer zuerst mit dem traditionellen Verbündeten Nordkorea traf, gab Xi Jinping dem Süden den Vortritt. Damit brüskierte er die nordkoreanische Führung unter Kim Jong-un, mit der das Verhältnis in den letzten Monaten als angespannt gilt.

Japan hofft weiter auf eine baldige Lösung der Entführungsfälle, die seit Jahrzehnten die Schlagzeilen beherrschen. Daher sollen am Freitag unilaterale Sanktionen fallen, die Japan Nordkorea zusätzlich zu denen der Vereinten Nationen für Atom- und Raketentests auferlegt hatte: Bisher durften Nordkoreaner zum Beispiel nicht nach Japan einreisen. Dieses Verbot soll nun aufgehoben werden. Japan werde außerdem davon absehen, seinen Bürgern von Reise nach Nordkorea abzuraten. Während Überweisungen nach Nordkorea vorher auf drei Millionen Yen (21.600 Euro) beschränkt waren, soll nun der Maximalbetrag verzehnfacht werden. Das gilt auch für Barmittel: Nordkorea-Reisende sollen nun bis zu einer Million Yen (7200 Euro) ohne Anmeldung mitnehmen dürfen. Bestehen bleibt jedoch der Bann auf Exporte nach Nordkorea, mit Ausnahme für humanitäre Zwecke, ebenso das völlige Einfuhrverbot nordkoreanischer Waren nach Japan. Charterflüge aus Nordkorea bleiben untersagt, eine ehemals wichtige Fährverbindung bleibt unterbrochen.

Noch Hunderte vermisst

Japans Regierungssprecher betonte, das Land trete mit den USA und Südkorea weiter dafür ein, dass sich Nordkorea von seinem Atomprogramm verabschiede und davon absehe, Raketen zu testen. In den letzten Tagen hatte Nordkorea mehrere Raketen in Richtung japanischer Hoheitsgewässer abgeschossen. Auch hier gilt China als eigentlicher Adressat.

Manche Experten halten die Zugeständnisse Japans für riskant. Sie befürchten, dass Japan damit Trümpfe aus der Hand gibt und nur benutzt wird, um dringend benötigte Devisen ins Land zu bekommen und China eifersüchtig zu machen. Bis Anfang Herbst sollen erste Ergebnisse vorliegen. Innenpolitisch könnte Premier Abe ein positives Resultat brauchen. Er hatte zuletzt mit der Entscheidung, Japan stärker militärisch auszurichten, im eigenen Land Sympathien verspielt.

Japan vermutet, dass insgesamt mehrere hundert Japaner nach Nordkorea gezwungen wurden. Eine private Organisation listet über 470 Vermisste, die Polizei spricht von der doppelten Zahl. Ungeklärt ist auch das Schicksal von 1800 Japanerinnen, die im Rahmen eines Repatriierungsprogrammes mit ihren koreanischen Ehemännern um 1960 nach Nordkorea ausreisten, sowie von rund 1440 Landsleuten, die dort vor dem Zweiten Weltkrieg lebten.