In Kanada verweisen Kritiker des Freihandelabkommens Ceta mit der EU auf negative Erfahrungen, die der Nafta-Vertrag mit den USA gebracht hat.
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Ottawa. An Pomp und Pathos wird es nicht fehlen - am Freitag wollen Kanadas Premier Stephen Harper und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso den Abschluss eines neuen Freihandelsvertrages verkünden. Harper nannte das Abkommen bereits im Vorfeld historisch. Doch angesichts der vielen Widerstände kann er sich noch gar nicht sicher sein, ob es je in Kraft tritt.
Im August hatten sich beide Seiten nach fünf Jahren Verhandlungen auf den Ceta-Vertrag ("Comprehensive Economic and Trade Agreement") verständigt. Danach sollen 98 Prozent aller Zölle zwischen beiden wegfallen, die Exportquoten für Agrarprodukte steigen, Unternehmen leichteren Zugang zu öffentlichen Aufträgen bekommen und die Freizügigkeit von Arbeitnehmern verbessert werden.
Für die EU ist das Abkommen eine Art Testfall für TTIP, ein ähnliches Abkommen mit den USA, das verhandelt wird. Nach EU-Schätzungen könnte der derzeit rund 80 Milliarden Euro starke bilaterale Handel mit Kanada durch Ceta um fast ein Viertel wachsen. Die kanadische Regierung hofft auf rund 18.000 neue Jobs.
Doch noch sind wichtige Teile diesseits und jenseits des Atlantiks umstritten, besonders die geplanten Regeln zum Investorenschutz - die ja auch bei TTIP für Aufruhr sorgen. Diese ermöglichen es Firmen, einen Staat an der Gerichtsbarkeit vorbei vor einer Sonderkommission zu klagen, wenn sie durch eine politische Entscheidung ihre Investition beeinträchtigt sehen.
Der deutsche Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hofft, die Klauseln zum Investorenschutz quasi in letzter Minute noch aus dem Vertrag "herauszuverhandeln", wie er am Donnerstag im Bundestag in Berlin sagte. Die EU-Kommission dagegen lehnt das ab, will das Vertragswerk nicht noch einmal aufschnüren. Auch Kanada ist dagegen.
Klagen gegen den Staat
Dabei hat Kanada mit ähnlichen Klauseln im Nafta-Freihandelsabkommen mit den USA und Mexiko nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Die regierungskritische Organisation "Canadian Centre for Policy Alternatives" (CCPA) hat berechnet, dass diese die kanadischen Steuerzahler bisher 170 Millionen Dollar gekostet haben. Vor ein paar Jahren etwa verklagte der US-Eigentümer einer Jagd-Lodge in Kanada die Regierung auf einen mehrstelligen Millionenbetrag, als diese zum Schutz von Rentieren die Jagdquoten senken wollte. Der US-Pharmakonzern EliLilly verlangt 500 Millionen Dollar, weil ein kanadisches Gericht zwei seiner Patente nicht anerkennt.
Auch die ökonomischen Vorteile des Freihandels sind umstritten. Zwar hat sich Kanadas Handel mit den USA seit dem Abschluss des Vertrages vor 20 Jahren fast verdreifacht. Kritiker bemängeln aber, dass davon hauptsächlich Konzerne und Vermögenseigentümer profitieren, weniger die Bürger. Zumal viele der durch Nafta neu entstandenen Jobs nur für Teilzeit gelten oder niedrig bezahlt werden würden.
Doch Kanadas Premier Harper setzt große Hoffnungen auf Ceta. Dabei weiß er die Industrie, die großen Medien und die politischen Eliten hinter sich. Auch zwei Drittel der Kanadier befürworten grundsätzlich mehr Handel mit der EU. Für Harper gehören Freihandelsverträge mit Europa und Ländern aus Asien zum Kern seiner wirtschaftspolitischen Agenda. Er ist unter Druck, die Wirtschaft in Kanada wächst langsamer als erhofft.
Der kanadische Premier braucht Ceta politisch wahrscheinlich also dringender als die meisten Regierungschefs in der EU. Bei Druck aus Brüssel oder Berlin würde sich Kanada etwaigen Nachbesserungen kaum verschließen. Bevor das Abkommen in Kraft treten kann, muss es von allen EU-Ländern, dem kanadischen Parlament und allen Provinzen ratifiziert werden. In Ottawa rechnet man damit, dass dies mindestens zwei Jahre dauert.