Mehrheit im Nationalrat für Novelle scheint fix, Abschaffung für Minister Brandstetter derzeit kein Thema.
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Wien. Es kommt im Fußball nicht häufig vor, dass Fans eines Vereins die Anhängerschaft des Gegners auf dem Bahnhof freundlich willkommen heißen. Beim Testspiel zwischen Rapid und Nürnberg vor einem Jahr war genau dies der Fall, denn beide Fangruppen verbindet eine Freundschaft, und gemeinsam sollte ein Fest gefeiert werden.
Dass es ein paar Stunden später dennoch zu Ausschreitungen kommen sollte und infolge 46 Personen unter anderem wegen Landfriedensbruch (§ 274 StGB) angezeigt wurden, ist daher bemerkenswert. Eskaliert war das Fanfest plötzlich, als die Wega kollektiv ausrückte, um einen Anhänger festzunehmen, der offenbar die Nummerntafel eines Polizeiautos abmontiert hatte. Dass die Situation von der Exekutive damals falsch eingeschätzt wurde, bestätigt heute auch Roman Hahslinger, Sprecher der Wiener Polizei. Die Folge der Krawalle waren Sachbeschädigungen und Körperverletzungen und ein Prozess gegen vier Dutzend Fans. Sogar zwei Mitarbeiter des SK Rapid, die schlichtend eingegriffen hatten, waren angezeigt worden. Gegen sie sowie 15 weitere Personen wurde das Verfahren inzwischen aber eingestellt.
Viel mehr Verurteilungen
Am Montag findet das Gerichtsverfahren gegen mittlerweile 29 Fans eine Fortsetzung, einem Drittel davon wird ausschließlich Landfriedensbruch vorgeworfen. Darunter ist auch ein Zeuge, der einen Angeklagten entlastet hatte, danach aber plötzlich selbst zum Beschuldigten wurde. Als Zeuge war er ja vor Ort, als der Wirbel ausbrach, weshalb der Paragraf 274 auch bei ihm griff. Dabeisein ist alles, eine konkrete Strafhandlung muss nicht mehr nachgewiesen werden.
Für Albert Steinhauser, den Justizsprecher der Grünen, zeigt nicht zuletzt dieser Fall die Absurdität des umstrittenen Paragrafen, der auch bei der Verurteilung des Studenten Josef S. im Akademikerball-Prozess zur Anwendung kam. Aus der Mottenkiste hatte ihn einst die Fußball-EM 2008 befördert, als sich Österreich gegen einen möglichen Ansturm von ausländischen Hooligans juristisch wappnen wollte. Doch seither wird der "274er" immer wieder bei Fußballfans herangezogen. Gab es von 1975 bis 2008 lediglich 24 Verurteilungen wegen Landfriedensbruchs, sind es seit EM beinahe 100.
Die "Rechtshilfe Rapid", ein Verein von und für Fans, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, hatte am Freitag Steinhauser sowie SPÖ-Nationalratsabgeordnete und "Rapid-Ultras"-Mitglied Nurten Yilmaz eingeladen, beide sprachen sich für zumindest eine Reform des Paragrafen aus. Die Grünen hätten überhaupt gerne den Tatbestand des Landfriedensbruchs abgeschafft.
Jarolim will rasche Reform
In der am Dienstag erscheinenden Fußballzeitschrift "Ballesterer", die sich diesmal unter anderem dem Paragrafen 274 widmet, sagt SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim: "Wir könnten dezidiert definieren, worauf der Paragraf anzuwenden ist: Also dort, wo es um Gewalt gegen Minderheiten geht und man Leute dafür motivieren will. Wenn man gar nichts findet, ist es immer noch besser, den Paragrafen ganz zu streichen."
Im Büro von Justizminister Wolfgang Brandstetter verweist man auf die derzeit tagende Expertengruppe zur StGB-Reform, die im kommenden Jahr umgesetzt sein soll. Brandstetter hat im Justizausschuss ebenfalls Änderungsbedarf angemeldet, gänzlich abschaffen will er den Paragrafen aber derzeit nicht. Unklar ist, ob der "274er" im Zuge der StGB-Reform geändert wird. "Das wäre ein Vehikel, weil die Reform für die Regierung ein Prestigeprojekt ist", sagt Steinhauser.
Jarolim glaubt an eine Extra-Lösung, wie er im "Ballesterer" erklärt. Weil es bei der StGB-Reform noch viele Streitpunkte gebe, müsse der Landfriedensbruch früher reformiert werden: "Wenn wir das nicht schaffen, haben wir versagt."