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Nadel im Heuhaufen der Gene gefunden. | Erbgut-Analyse erklärt nur rund ein Drittel der Asthma-Erkrankungen bei Kindern. | Passiert im Straßenverkehr ein Unfall, kommen oft verschiedene Faktoren zusammen: Da wird ein Fahrer ein wenig abgelenkt, weil er nach einem anderen Sender im Radio sucht, im gleichen Moment nimmt ihm ein weiterer Verkehrsteilnehmer die Vorfahrt - schon kracht es.
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Ähnlich erklären Wissenschafter auch Krankheiten wie Asthma, bei deren Entstehen ebenfalls mehrere Faktoren zusammenkommen. Die Rolle des Autoradios übernimmt dabei eine "erbliche Veranlagung"; als zweiter Faktor kommt eine "Umweltbelastung" hinzu: Luftverschmutzung, aber auch Infektionskrankheiten spielen diesbezüglich eine Rolle.
Ziemlich im Dunklen tappten die Forscher aber bisher bei der erblichen Komponente, weil man diese aus dem Erbgut mit seinen mehr als drei Milliarden Bausteinen nur herausfiltern kann, wenn man die Gene sehr vieler Asthmatiker unter die Lupe nimmt.
Genau das hat jetzt eine große Wissenschaftergruppe getan, zu der Erika von Mutius vom Haunerschen Kinderspital der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und Joachim Heinrich gehören: Weltweit leiden bis zu 100 Millionen Menschen an Asthma, von 10.365 Erkrankten wurde das Erbgut unter die Lupe genommen und mit den Erbinformationen von 16.110 Nicht-Asthmatikern verglichen. "Sechs Stellen im Erbgut filterten die Computerprogramme heraus, an denen sich Asthmatiker auffallend häufig von Nicht-Asthmatikern unterscheiden", fasst Joachim Heinrich zusammen. Ein einziger Baustein war an jeder dieser Stellen verändert - die Forscher hatten die berühmte Nadel im Heuhaufen gefunden. "Insgesamt erklären diese Faktoren aber nur 38 Prozent der Asthmafälle bei Kindern", sagt die Kinderärztin und Naturwissenschafterin Erika von Mutius. Für den größeren Teil scheinen also die Umweltfaktoren verantwortlich.
"Die genaue Funktion dieser sechs Erbanlagen ist noch nicht bekannt", erklärt von Mutius. Sie spielen jedenfalls eine Rolle in den Schleimhäuten der Atemwege und beim Immunsystem, das Infektionen abwehren soll. Genau diese Immunabwehr aber schießt bei Allergien über das Ziel hinaus und bekämpft zum Beispiel harmlose Blütenpollen.
Allergien und Asthma vermutlich unabhängig
Bei Asthma unterscheiden Ärzte zwei Krankheitstypen, von denen nur einer durch eine allergische Reaktion ausgelöst wird. Beide Typen haben die Forscher in der gerade im "New England Journal of Medicine" erscheinenden Studie in einen Topf geworfen. Eine Verbindung zwischen den bereits bekannten Erbgut-Varianten, die mit dem Entstehen von Allergien zusammenhängen, und den sechs jetzt entdeckten Asthma-Risikofaktoren aber fanden sie kaum. Asthma und Allergien entstehen also vermutlich meist unabhängig voneinander und treten erst im weiteren Verlauf gemeinsam auf. Bekämpft man also das Entstehen von Asthma - indem sich Kinder zum Beispiel nicht in verrauchten Räumen aufhalten -, verringert man gleichzeitig das Risiko für allergisches Asthma in späteren Lebensjahren.
So ähnlich geht es ja auch im Straßenverkehr: Wer nicht in den Tiefen des Armaturenbretts von den Radioschaltern abgelenkt wird, verringert auch das Unfallrisiko, wenn ihm ein anderer die Vorfahrt nimmt.