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Leonore Gewessler über die Hürden bei der Energiewende, die Bedeutung von Wasserstoff und wie sie Emissionen senken will.
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Emissionen runter, Individualverkehr reduzieren, Gebäude und Industrie klimafit machen: Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) hat nicht nur eine, sondern mehrere Mammutaufgaben zu bewältigen. Die Zeit drängt. Österreich will bis 2030 nur noch sauberen Strom, bis 2040 soll die Republik klimaneutral sein.
"Wiener Zeitung": Frau Ministerin, wann sind Sie zuletzt mit einem Auto mit Verbrennungsmotor gefahren?
Leonore Gewessler: Das kann ich spontan gar nicht beantworten. Wir haben in der Familie ein E-Auto und wenn ich Taxi fahre, bestelle ich mir ein Ökotaxi. Aber ja, auch ich fahre hin und wieder Auto.
Der Verkehr verursacht 30 Prozent der Emissionen in Österreich. Wie wollen Sie die Emissionen reduzieren?
Tatsächlich ist der Verkehr das Sorgenkind in unserer Klimabilanz. Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs ist eine zentrale Maßnahme. Wir haben mit 17,5 Milliarden Euro für den Bahnausbau das größte Infrastrukturprojekt auf den Weg gebracht. Wir bringen Stadt-Regionalbahn-Projekte auf den Weg, damit Menschen in Ballungsräumen ein Angebot zum Pendeln haben. Mit dem 1-2-3-Klimaticket soll die öffentliche Mobilität nicht nur die bequemste, sondern auch die leistbarste werden. Bei Autos wird auf emissionsfreie Antriebe umgestellt. Und wir haben uns vorgenommen, den Anteil von Fahrradfahrern und Fußgängern zu verdoppeln.
Österreich fördert E-Autos mit bis zu 5.000 Euro. In Deutschland gibt es fast das Doppelte an Förderung. Warum zahlt man nicht mehr und erhöht dadurch das Tempo?
Wir haben die Förderung im letzten Jahr erhöht. Der erhöhte Fördersatz wirkt. Im März waren mehr als zehn Prozent der Neuzulassungen rein elektrisch. Das ist eine Entwicklung, die man in ganz Europa sehen kann. Auch die Förderung für die Infrastruktur wird intensiv abgerufen.
Fossile Energiequellen treiben den Klimawandel voran. In Österreich wird aber Diesel nach wie vor staatlich gefördert. Widerspricht sich das nicht?
Die CO2-Bepreisung ist genau deswegen ein zentrales Projekt im Regierungsprogramm.
Wann wird das Dieselprivileg fallen?
Wir arbeiten jetzt am Gesamtprojekt ökosoziale Steuerreform. Wir haben der EU die Umsetzung für das erste Quartal 2022 gemeldet. Das Gesamtpaket hat eine ökologische Seite: Klimaschonendes Verhalten wird billiger, klimaschädliches Verhalten kriegt einen gerechten Preis. Auf der anderen Seite gibt es einen sozialen Ausgleich.
Was würden Sie mit neun Milliarden Euro machen?
Wenn ich alle Investitionsprojekte zusammenrechne, die wir auf den Weg gebracht haben, dann komme ich ungefähr auf diese Summe. Klimaschutz ist der Weg aus der Krise. Die Investitionsprämie ist ein gutes Beispiel dafür. Unternehmen, die auch in unsicheren Zeiten investieren, bekommen diese Investitionen gefördert. Sie bekommen die doppelte Prämie, wenn sie in den Klimaschutz investieren.
Der Rechnungshof warnt in einem Bericht, dass Österreich seine Klimaziele 2030 verfehlt. Der Ankauf von Emissionszertifikaten würde mehr als neun Milliarden Euro kosten. Wie wollen Sie das verhindern?
Indem wir genau das tun, was ich beschrieben habe. Indem wir jetzt in den Klimaschutz investieren. Denn es ist hundertmal sinnvoller, in den Klimaschutz zu investieren, statt aus internationalen Verpflichtungen heraus Strafzahlungen tätigen zu müssen.
Ist die Energiewende bis 2030 noch machbar?
Ja, ist sie. Aber wie bei vielen Projekten im Klimaschutz müssen wir alle an einem Strang ziehen. Wir haben für die Energiewende enormen Rückenwind aus der Bevölkerung. Natürlich gibt es bei Großprojekten immer viele Fragen. Aber wir haben gerade das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) auf den Weg gebracht, um einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen für 100 Prozent erneuerbare Energie. Ein Kernelement sind die Energiegemeinschaften. Die Freiwillige Feuerwehr, der Kirchenchor, ich und meine Nachbarin können gemeinsam Strom produzieren und ihn auch gemeinsam konsumieren. Das Ziel ist herausfordernd, aber machbar.
Experten warnen vor einer zunehmenden Blackout-Gefahr. Sind die heimischen Stromnetze gewappnet für die Energiewende?
Der Vorfall im Jänner hat uns gezeigt, dass unsere Sicherheitsprotokolle und die Übungen, die die Netzbetreiber zur Vorbereitung auf solche Situationen machen, funktionieren. Innerhalb einer Stunde war das Stromsystem wieder im Lot. Die Schwankungen im Stromnetz wurden durch Wasserkraft und Batterien abgefangen. Die Versorgungssicherheit - Österreich hat eines der sichersten Stromnetze in ganz Europa - müssen wir natürlich in den Umbau des Energiesystems mitnehmen. Deswegen haben wir im Dezember im Nationalrat die Netzreserve neu auf den Weg gebracht. Das ist das Mittel, um Schwankungen im Stromsystem auszugleichen.
Das Energieeffizienzgesetz ist Ende 2020 ausgelaufen, eine Novelle längst überfällig. Wann kommt das neue Gesetz?
Der Begutachtungsentwurf ist kurz vor der Fertigstellung. Wir diskutieren einzelne Teile bereits mit den Bundesländern. Es ist ein komplexes Gesetz und es braucht eine gute Vorbereitung. Auch deswegen, weil wir aus dem Gesetz aus der Vergangenheit sehr genau wissen, wo die Schwachpunkte sind. Wir haben ein hochkomplexes Energieeffizienzgesetz gehabt. Das hat dann aber dazu geführt, dass wir gerechnete Bilanzen mit Energieeinsparungen haben, es aber nicht geschafft haben, den realen Energieverbrauch zu senken. Schönrechnen wird’s in Zukunft nicht mehr sein können. Beim sparsamen Umgang mit Energie müssen wir besser werden.
Können Sie einen Schwachpunkt des alten Gesetzes nennen, den Sie ändern wollen?
In der Debatte ist oft der Punkt genannt worden, dass wir einen gesetzlichen Rahmen und ein Methodenhandbuch entwickelt haben, wo Effizienzmaßnahmen angerechnet werden konnten. Das war sehr breit und sehr komplex und beinhaltete Maßnahmen, die wohl eher in der Theorie als in der Praxis wirklich zu Energieeinsparungen führen hätten sollen. Deswegen ist es wichtig, dass wir diese Methoden entschlacken und nur noch wirkungsvolle Maßnahmen in der Anrechenbarkeit haben. Der Tausch eines fossilen Systems auf ein neues fossiles System wird nicht mehr anrechenbar sein.
Grüner Wasserstoff ist eine wichtige Säule für die Energiewende. Die nationale Strategie steht immer noch aus. Ist der Energieträger doch nicht so wichtig?
Wasserstoff ist ohne Zweifel ein Teil der Energiewende. Vor allem dort, wo wir keine Alternative haben. In industriellen Prozessen wie der Stahlproduktion werden wir Wasserstoff brauchen, um Emissionen zu senken. Seine Einsatzgebiete, der europäische Rahmen, die Infrastruktur: All diese Fragen werden in der Wasserstoff-Strategie behandelt. Sie ist in finaler Abstimmung. Mir ist es wichtig, dass man diesen wertvollen Energieträger zielgerichtet einsetzt. Wir dürfen nicht unter dem Deckmantel von Wasserstoff Erdgas und Nuklearenergie fördern, sondern müssen auch in diesem Bereich in Richtung Erneuerbare gehen. Deshalb gilt es, die Zertifizierungsfrage zu klären.
Sie sprechen oft vom Jobmotor Klimaschutz. Wie viele Arbeitsplätze sollen entstehen?
Im Gebäudebereich zum Beispiel müssen wir den Energieverbrauch durch Sanierung und erneuerbare Energieträger senken. Wir stellen deswegen insgesamt 750 Millionen Euro für die Sanierungsoffensive zur Verfügung. Allein mit diesen Maßnahmen können wir in den kommenden beiden Jahren 64.000 Arbeitsplätze schaffen. Mit dem EAG schaffen und erhalten wir 70.000 Arbeitsplätze im Jahr. Großer Jobmotor ist der Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Wer baut den Bahnhof, wer deckt das Dach? Das geht vor allem in die lokale Wertschöpfung. Beim Öffi-Ausbau schaffen und sichern wir mit jeder investierten Milliarde rund 15.000 Arbeitsplätze.
Der Ausstieg bei Öl-, Kohle- und Gasheizungen wurde beschlossen. Öl und Kohle hat eine Frist bis 2035, Gas bis 2040. Warum gibt man so lange Fristen?
Seit 2020 sind im Neubau keine Ölheizungen mehr möglich. Mit 2022 wird es beim Tausch von dreckigen Ölkesseln ein Erneuerbaren-Gebot geben. Und ab 2025 geht es auch darum, die fossilen Heizungen sukzessive aus dem Bestand rauszubringen. Wir haben derzeit noch 600.000 Öl- und eine Million Gasheizungen in Betrieb. Das braucht Planbarkeit für die Menschen im Land, deswegen gibt es auch einen genauen Zeitplan.
Zur Person~ Leonore Gewessler ist seit Jänner 2020 Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Davor war sie sechs Jahre politische Geschäftsführerin der NGO Global 2000.