Der 24. März ist ein Jahrestag der schmerzlichen Erinnerungen in Argentinien. An ihm begann 1976 die grausamste Diktatur (1976 bis 1983) seiner Geschichte. Sinnbild des Grauens wurde die Armeeschule ESMA in Buenos Aires. Am kommenden Mittwoch nun, 28 Jahre nach dem Putsch, wird die Anlage argentinischen Menschenrechtsorganisationen übergeben, die hier | eine Gedenkstätte eröffnen. Dann soll in der ehemaligen Schule wieder gelehrt werden - über das Recht auf Leben.
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Majestätisch steht das weiße Haus im schrägen Licht der Nachmittagsonne. Ein leichter Wind rauscht durch das üppige Grün des immensen Gartens. Über den Säulen des Eingangs prangen weit lesbar die Lettern "Escuela de Mecanica de la Armada", kurz ESMA. Unvorstellbar, was in den 70-er Jahren hinter dieser Fassade geschah.
Eine Treppe führte im Offizierskasino in den Keller hinunter. Im dunklen Saal provisorische Zellen. Ganz hinten am Gangende die Räume 12, 13 und 14. Hierher wurden, das Gesicht von einer schwarzen Kapuze bedeckt, 5.000 Menschen geschleift, bestialisch geschlagen, mit dem Kopf unter Wasser gedrückt, durch Elektroschocks gequält. Nur 100 überlebten den Terror hinter der weißen Unschuldsfassade. "Die ESMA ist unser Auschwitz", schreibt der argentinische Journalist José Pablo Feinman.
Am 24. März 1976 putschte eine Junta um den General Rafael Videla die argentinische Präsidentin Isabel Perón aus dem Amt. Begründung: Linke Subversion bringe den Staat in Gefahr und nur die Armee könne die Ordnung wieder herstellen. Was von der Junta jedoch als "Prozess der Nationalen Reorganisation" deklariert wurde, entpuppte sich als Staatsterrorismus, dem in den sieben Jahren seiner Herrschaft mehr als 30.000 Menschen zum Opfer fielen. Systematisch wurde verfolgt, gefangen genommen, gefoltert und umgebracht. Versteckte Folterzentren und Konzentrationslager wie die ESMA fanden sich übers ganze Land verteilt. Die Angehörigen der Opfer aber wurden über den Verbleib ihrer Kinder, ihrer Männer, Frauen und Enkel nie aufgeklärt.
Suche nach Verschwundenen
Das Verschwindenlassen von Personen hinterließ Wunden, die über Generationen nicht heilen werden. "Es gibt im Leben keine Logik, nach der irgendetwas verschwindet. Irgendwo muss es doch sein", sagt Laura Conte, Vizepräsidentin der Menschenrechtsorganisation CELS und Mutter der Plaza de Mayo. Noch heute sucht die 74-jährige nach ihrem Sohn, weiß nicht, was mit ihm geschah und wo er geblieben ist.
Die Verbrechen der Diktatur sind in Argentinien hinreichend bekannt. Der Bericht über den Terror "Nunca Más" ("Nie wieder") wurde in 22 Auflagen ausverkauft. Und erst kürzlich kam der Dokumentarfilm "Das argentinische Nürnberg" über den Prozess gegen die Junta von 1985 in die Kinos. Ein Zeuge, Ex-Gefangener der ESMA: "Ich musste dort immer das kaputte Elektrockgerät reparieren. Eines Tages weigerte ich mich, daraufhin folterten sie mit einem anderen Gerät, an dem die Wattzahl nicht zu kontrollieren war. Dann trugen sie die Ohnmächtigen an mir vorbei, mit schrecklichen Verbrennungen. Nach drei Wochen habe ich es nicht mehr ausgehalten und mir das kaputte Gerät bringen lassen. Aber ich habe es so manipuliert, dass es weniger Potenz hatte".
Am 28. Jahrestag des Putsches, wird Präsident Néstor Kirchner die ESMA den argentinischen Menschenrechtsorganisationen übergeben. Bislang gibt es im Land keine Gedenkstätte für die Opfer. Mehr noch - in den 90-er Jahren sollte das "Schandmal" sogar abgerissen werden. Doch dies ist längst hinfällig. "Wir wollen in der ESMA eine Begegnungsstätte einrichten, die Jugendaustausch und die Lehre der Menschenrechte möglich macht", erklärt Laura Conte die Pläne. Der Ort des Horrors selbst aber soll nicht verändert werden.
Die Operationsgruppe GT33/2 der ESMA war berühmt berüchtigt, ihre so genannte Arbeit wohl organisierte Routine. Ein Plan legte fest, wie viel Watt pro Körpergewicht verabreicht werden durften, um die Gefangenen "zum Singen" zu bringen. Und mittwochs wurde "verlegt". "Nutzlose" Gefangene wurden dabei eingeschläfert, auf Flugzeuge verladen und lebendig ins Meer geworfen. Ebenso systematisch wie der Tod war auch das Leben. Schwangere Frauen ließ man noch gebären bevor man sie tötete. Die Babys wurden ihrer Identität beraubt und von Militärs "adoptiert". In mühseliger Kleinstarbeit suchen die Großmütter noch heute nach den Enkeln. Von den mehr als 500 in Gefangenschaft geborenen Kindern konnten 77 bisher ihr wahres Schicksal kennen lernen.
Aufbruch in eine neue Ära
Die Namen der Folterer der ESMA sind bekannt, die Liste im Internet zu lesen. Gegen einige wie Alfredo Astiz, Emilio Massera und Adolfo Scilingo ist sogar in Europa Anklage erhoben worden. Doch in Argentinien selbst leben die meisten von ihnen noch immer auf freiem Fuß. Zwei Straffreiheitsgesetze und eine Amnestie verhindern seit 1986 die juristische Verfolgung der Verbrechen. Doch nährt die jetzige Übergabe der ESMA die Hoffnung, dass in Argentinien tatsächlich ein Politikwechsel im Hinblick auf die Menschenrechte stattgefunden hat. Schon Mitte letzten Jahres wurden die Anmnestiegesetze im Kongress und Senat für ungültig erklärt. Nun wartet das Land auf das rechtsgültige Urteil des Obersten Gerichtshofes. "Der heutige Präsident Néstor Kirchner gehört zu der betroffenen Generation. Er hat die Diktatur selbst miterlebt", erklärt Laura Conte den Umschwung, für den die argentinischen Menschenrechtsorganisationen so lange gekämpft haben.