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Umworben, aber nicht präsent

Von Bernd Vasari

Politik

Es liege an den Parteien, ihren Anteil an Migranten zu heben, finden viele.


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Wien. Repräsentativ für die Gesamtbevölkerung waren Österreichs Politiker nie. Weder Pensionisten, Arbeiter oder Frauen waren entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil in Landtag oder Nationalrat vertreten. Doch in einem Fall ist die Kluft besonders beachtlich: Nur 17 Abgeordnete auf Bundes- und Landesebene haben Migrationshintergrund - eine im Nationalrat, drei im Bundesrat, 13 in den Landtagen, wie die Medien-Servicestelle Neue Österreicher/innen (MSNÖ) ermittelte. Acht sind bei den Grünen, sieben bei der SPÖ und je einer bei ÖVP und FPÖ.

"Das ist eindeutig zu wenig und spiegelt in keinster Weise die Vielfalt unserer Gesellschaft wieder", kritisiert Zarko Radulovic, Chefredakteur der MSNÖ, bei einer Diskussionsveranstaltung am Montag im Haus der EU, die vom Verein Networking Youth Career organisiert wurde. Sicherlich sei eine perfekte Repräsentanz aller Bevölkerungsgruppen nicht realisierbar und wünschenswert, wie er auch gegenüber der "Wiener Zeitung" unterstreicht. Es gehe nicht um Quoten. Aber: Gerade unterprivilegierte Bevölkerungsschichten müssten "angemessener und fairer" vertreten sein. 18,6 Prozent der Gesamtbevölkerung sind Migranten. Die weit unter diesem Bevölkerungsanteil liegende Vertretung sei problematisch. Parteien müssten die Scheuklappen ablegen und aktiv um Migranten werben.

Für die einzige Nationalratsabgeordnete mit Migrationshintergrund, Alev Korun (Grüne), ist die Offenheit der Parteien gegenüber Migranten nur ein Lippenbekenntnis. Viele Parteien lassen Migranten im Wahlkampf für sich werben, setzen sie aber dann auf einen schlechteren Listenplatz. Um dieses Problem zu beheben, wäre für Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) ein Persönlichkeitswahlrecht sinnvoll. Dann müsste der Kandidat direkt gewählt werden und wäre nicht mehr Opfer intransparenter Listen. Korun stimmt zu, verweist aber auf die gläserne Decke, die Migranten auf dem Weg nach oben frühzeitig bremst. Das liege auch an fehlenden Netzwerken: "Es muss ein niederschwelliges Angebot zum Andocken für Interessierte geben. Die Parteien müssen interne Anreize schaffen."

Die wenigen Menschen mit Migrationshintergrund in der Politik sind für Simon Inou, Geschäftsführer von Medienbeobachter M-Media, "Kosmetik", die als "Legitimationsgrund für Diversität" genutzt wird. Das Problem sitze tiefer. Es fehle oft an Respekt gegenüber Migranten, wie etwa die in Schulbüchern vermittelten Bilder zeigten. Auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen seien bei weitem nicht so weit, um Partizipation zu gewährleisten. Dem stimmt Friedhelm Frischenschlager, Präsident der Europäischen Föderalistischen Bewegung, zu. Er würde das Wahlrecht auf Nicht-Österreicher ausdehnen. "Alle Menschen, die über einen bestimmten Zeitraum hier leben und arbeiten, sollten auf Landtagsebene mitwählen dürfen."

Probleme sollten durch einen demokratischen Prozess gemeinsam bewältigt werden. "Wer hier lebt, soll sich auch demokratisch artikulieren können." Für Inou wäre es schon ein Erfolg, wenn Migranten auf Wahlplakaten für die Nationalratswahl 2013 zu sehen sein könnten. Die Parteien, Lobbys, Verbände und Bünde sollten nach dem Vorbild der Wiener Polizei aktiv auf sie zugehen.

Für Kurz ist das aktive Werben einer Partei nicht entscheidend. Der Staatssekretär verweist auf seine eigene politische Karriere und unterstreicht die Wichtigkeit der Eigeninitiative. Er habe anfangs mehrere Anläufe benötigt, um in der ÖVP Fuß zu fassen. Davon solle man sich nicht entmutigen lassen. Sein Netzwerk hat er sich selbst erarbeitet. Dem widersprach Radulovic unter Verweis auf Deutschland. Migranten in der Politik wurden in der SPD zur Chefsache gemacht: "Sigmar Gabriel wollte mehr Migranten haben und die holte er sich dann auch." In Österreich gäbe es genug Potenzial: "Es leben etwa 500.000 Ex-Jugoslawen in Österreich. Wo sind die in der Politik?"

Nurten Yilmaz (SPÖ) ist eine der wenigen Migranten, die es geschafft haben. Die Übertragung von Verantwortung bereits in der Sozialistischen Jugend war für die heutige Gemeinderätin die größte Anerkennung. Ohne Verantwortung geht es nicht. "Nur zu sagen: ‚Kommt!‘ ist zu wenig." Sie wundert sich über die fehlende Eigenreflexion vieler Politiker. Als Arnold Schwarzenegger Gouverneur in Kalifornien war, "haben sich alle mit ihm abfotografieren lassen. Keiner hat sich gefragt, warum es in Österreich noch keinen Landeshauptmann mit Migrationshintergrund gibt." Yilmaz wurde in der Türkei geboren. "Ich hätte mich auch dort in die Politik eingebracht", sagt sie. Als Migrantin wird sie hauptsächlich zu Integrationsthemen befragt.

Mehr mediale Beachtung

Davon können Korun und der grüne Bundesrat Efgani Dönmez ein Lied singen: "Wenn ich in den Medien bin, dann zu Themen wie Islam, Kopftuch oder Türkei", erzählt Dönmez. Seine Motivation in die Politik zu gehen stammt aus seiner Zeit beim Zivildienst, als er in der Flüchtlingshilfe gearbeitet hat. Alev Korun wurde durch den Militärputsch geprägt, den sie als Elfjährige in der Türkei miterlebt hat. Sie kam zu den Grünen, nachdem sie aktiv auf die Partei zuging. Als einzige Person im Nationalrat mit Migrationshintergrund bekommt sie oft die Frage gestellt, ob sie eine Art Quotenmigrantin sei.

Asdin El Habbassi, Bundesobmannstellvertreter der Jungen ÖVP, sieht auch positive Seiten: "Man bekommt mehr Aufmerksamkeit und Bühne als Migrantenpolitiker." Dass die politischen Parteien bei der nächsten Wahl migrantische Quereinsteiger medial wirksam präsentieren werden, damit rechnet auch Radulovic. Und den Bekundungen von Kurz zum Trotz gibt es bereits Hinweise, dass sich gerade der Staatssekretär nach Nachwuchs in dem Bereich umsieht.