)
Oslo - Geir Lundestad schlägt immer mal wieder unter "Friedensnobelpreis" in seinem Lieblingslexikon, dem Oxford Dictionary, nach. Der Geschichtsprofessor und Direktor des Osloer Nobel-Institutes bekennt, dass er sich jedes Mal über die Einleitung freut: "Der angesehendste Preis der Welt."
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Lundestad wird ähnliche Formulierungen derzeit auch anderswo zuhauf finden, wenn die Nobelpreise ihr erstes Jahrhundert abrunden. Am Freitag geben die fünf norwegische Juroren bekannt, wer am 10. Dezember, genau 100 Jahre nach der ersten Vergabe, den "Preis aller Preise" überreicht bekommt.
Nicht wenige sind sich ziemlich sicher, dass die Wahl des Komitees im Jubiläumsjahr auf die Vereinten Nationen und ihren Generalsekretär Kofi Annan gefallen ist. Das wäre dann wieder eine der "nicht kontroversiellen" Entscheidungen, der gerade auch nach den Terroranschlägen in den USA und der weltweiten Angst vor Krieg Beifall aus Washington ebenso sicher sein dürfte wie aus Hauptstädten, in denen man sonst mit den USA in nichts übereinstimmt.
Dabei ist die Geschichte des Friedensnobelpreises wohl eher von umstrittenen Preisen geprägt worden. Auch nach Meinung Lundestads hat dabei die Vergabe 1936 an den von den Nazi-Machthabern in Deutschland eingekerkerten Publizisten Carl von Ossietzky (1889-1938) eine herausragende Stellung: "Das war die wichtigste Entscheidung des Komitees überhaupt." Wichtig nicht so sehr wegen der wütenden Reaktionen Hitlers, der postwendend allen Deutschen und für immer die Annahme eines Nobelpreises verbot. Vielmehr habe das Komitee sich damals nach härtesten internen Auseinandersetzungen endgültig von direkter politischer Einflussnahme freigeschwommen. Zwei Minister gaben ihre Komiteesitze aus Protest ab, weil sie die guten Beziehungen Norwegens zu Deutschland in Gefahr sahen. Der schon bei der Vergabe schwer kranke Ossietzky starb zwei Jahre später, was Kritiker in ihrer Meinung bestärkte, das Komitee habe den Preis aus Opportunismus viel zu spät an Ossietzky vergeben und damit auch die Chance vertan, früh und rechtzeitig ein Zeichen gegen die umfassende Verfolgung Andersdenkender im Nazi- Deutschland zu setzen.
Lundestads Einwand, der Friedensnobelpreis habe Ossietzky doch immerhin bessere Haftbedingungen gebracht, wird nicht jeden überzeugen. Deutlich energischer bringt der Institutschef denn auch sein Argument vor, dass die von Norwegens Parlament "Storting" nach Parteienproporz für je sechs Jahre gewählten Komiteemitglieder heutzutage nicht die geringsten Bedenken haben, weil eine Großmacht sich auf den Zeh getreten fühlen könnte. Als der Dalai Lama 1989 ausgezeichnet wurde, drohte Peking dem kleinen Norwegen mit Sanktionen. Die dann aber ausblieben.
Wohl insgesamt haben die "Dissidenten"-Preise an Empfänger wie den Russen Andrej Sacharow (1975), den Polen Lech Walesa (1983) und zuletzt 1991 an die burmesische Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi entscheidend zum herausragenden Ruf des Friedensnobelpreises beigetragen. Schwerer tut sich die Öffentlichkeit, wenn die Norweger einen oder mehrere Machthaber selbst für die friedliche Lösung eines bestimmten Konfliktes auszeichnen.
Beim früheren US-Außenminister Henry Kissinger, der den Preis 1973 mit seinem damaligen nordvietnamesischen Verhandlungspartner Le Duc Tho für das Pariser Friedensabkommen bekam, fallen vielen Zeitzeugen umgehend zu viele wenig friedfertige andere Taten ein. Etwa Kissingers Rolle beim Sturz des chilenischen Präsidenten Salvador Allende, der mit Unterstützung des US-Geheimdienstes CIA nur vier Wochen vor der der Preiszuerkennung ermordet worden war. Ähnlich Fragwürdiges ließe sich auch über diverse andere Preisträger von US-Präsident Theodore Roosevelt (1906) bis Ägyptens Staatschef Anwar El Sadat und dem israelischen Premierminister Menachem Begin (zusammen 1978), den südafrikanischen Ex-Präsidenten Frederik Willem De Klerk (zusammen mit seinem Nachfolger Nelson Mandela 1993) und Palästinenserpräsident Yasser Arafat sowie dessen Mit-Preisträger Yitzhak Rabin und Shimon Peres aus Israel zusammentragen.
Der Chef des Nobel-Institutes will nur einen wirklich gravierenden und unverzeihlichen Fehler in der 100-jährigen, allerdings auch von zwei Weltkriegen unterbrochenen Geschichte des Friedensnobelpreises zugeben: "Dass ihn Mahatma Gandhi nie bekommen hat, ist ohne jeden Zweifel äußerst bedauerlich."