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UN-Experiment in Ostkongo

Von WZ-Korrespondentin Simone Schlindwein

Politik

Blauhelme dürfen offensiv gegen Rebellen vorgehen, im Gegenzug muss Regierung in Kinshasa gegen Vergewaltiger vorgehen.


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Kinshasa. Der UN-Sicherheitsrat hat einem Mandat für eine schnelle Eingreiftruppe für die Demokratische Republik Kongo zugestimmt. Über 3000 Soldaten sollen jetzt zusätzlich in den vom Bürgerkrieg geplanten Osten des Landes entsandt werden, um dort offensiv die verschiedenen Rebellengruppen zu bekämpfen.

Seit nunmehr genau einem Jahr ist der seit 1998 schwelende Bürgerkrieg im Osten des großen Landes im Herzen Afrikas wieder voll im Gange. Im April 2012 waren dutzende Offiziere aus den Rängen der kongolesischen Armee desertiert und hatten die Rebellenorganisation M23 (Bewegung des 23. März) gegründet. Die M23-Offiziere entstammen einer ehemaligen Miliz, dem CNDP, die sich nach dem Friedensvertrag vom 23. März 2009 zwischen Kongos Regierung und knapp 20 Milizen im Ostkongo in die nationale Armee integriert hatten. Jedoch unter Bedingungen: Die Regierung hatte damals zugesagt, die Armee zu reformieren und kongolesische Flüchtlinge aus den Nachbarländern zurückzuführen. Doch diese Versprechungen seien nicht erfüllt worden, so die M23. Deswegen hätten sie erneut eine Rebellion gestartet.

Dies hatte erneut einen Dominoeffekt im Ostkongo ausgelöst: Wie in einer Parade haben sich seitdem überall auf den Hügeln und in den Wäldern neue Rebellenorganisationen gegründet oder bestehende Milizen haben erneut Aufwind erfahren. Auf über 50 Milizen wird das Chaos im Dschungel derzeit geschätzt. Im November hatten die M23-Rebellen Ostkongos Provinzhauptstadt Goma eingenommen. Nach Tagen heftiger Gefechte gab sich die Regierungsarmee geschlagen und zog sich zurück. In der Provinz Nord-Kivu ist die Armee praktisch kaum mehr existent. Seitdem herrscht in den Wäldern regelrechte Anarchie. Dorfbevölkerungen stellen Selbstverteidigungsgruppen auf, um sich vor Eindringlingen zu schützen: Laut UNHCR ist allein in der Nord-Kivu-Provinz fast eine Million Menschen auf der Flucht. Fast täglich wird auf den Hügeln rund um die aktiven Vulkane gekämpft. Die Lage ist komplex.

3000 Mann auf Probe

Die regionalen Staats- und Regierungschefs hatten sich jüngst auf einen regionalen Friedensansatz geeinigt. Die Idee: Eine regionale schnelle Eingreiftruppe soll die Rebellen bekämpfen und entwaffnen. In einer im Februar verabschiedeten Erklärung sicherten die Nachbarstaaten zu, keine Rebellengruppen mehr auszurüsten. Die UN-Ermittler werfen beispielsweise Ruanda und Uganda vor, die M23 zu unterstützen.

Die neue Eingreiftruppe soll möglichst schnell in Ostkongos Millionenstadt Goma stationiert werden: Rund 3000 Soldaten sollen aus Tansania, Mosambik und Südafrika entsandt werden. Ihr Mandat erlaubt ihnen erstmals auch offensive Kriegsführung. Mit - aber auch ohne Hilfe - der kongolesischen Armee sollen sie gegen die Milizen vorgehen. "Friedens-Erzwingung", nennt sich das im UN-Fachjargon. Bislang hatte das UN-Mandat lediglich die "Stabilisierung" zum Ziel.

Im Kongo sind bereits seit über zehn Jahren im Rahmen der Stabilisierungsmission (Monusco) über 19.000 UN-Blauhelme stationiert. Laut ihrem Auftrag dürfen sie nur Seite an Seite mit der Regierungsarmee in Kampfhandlungen einbezogen werden. Dies führte nicht zuletzt dazu, dass die Millionenstadt Goma in die Hände der M23 fiel: Als die Armee sich geschlagen zurückzog, durften die UN-Blauhelme nichts mehr gegen die Rebellen ausrichten. Das soll sich nun ändern. "Wenn wir eine Eingreiftruppe in Zusammenarbeit mit Monusco haben, dann haben wir bessere Kapazitäten, mit den Umständen in Kongo umzugehen", sagt der damalige Monusco-Kommandeur in Goma, Generalleutnant Chander Prakash. "Derzeit sind unsere Kapazitäten komplett ausgeschöpft."

In Goma werden bereits überall Zweifel laut, ob eine solche Eingreiftruppe - selbst mit einem offensiven Mandat - Sinn macht. Tansanier und Südafrikaner wären im unwegsamen Dschungel der Kivu-Provinzen mit fast 50 Rebellengruppen konfrontiert, die sich in den Wäldern viel besser auskennen, so die Argumente der Zweifler. Deswegen ist die Eingreiftruppe laut Mandat nur eine Testoperation: Die Resolution, die Donnerstag unterzeichnet wurde, sieht eine Laufzeit von einem Jahr vor, "auf einer Ausnahmebasis, die keinen Präzedenzfall darstellt", so der Beschluss. Es müsse eine klare Exitstrategie für diese Truppen geben, heißt es in der Resolution.

Der UN-Sicherheitsrat stellte an Kongos Regierung klare Bedingungen als Gegenleistung: Laut Beschluss sei die Fortführung der UNO-Mission im Kongo nur gewährleistet, wenn die Regierung gewisse Bedingungen erfüllt. Die Gretchenfrage ist und bleibt dabei der Zustand der Armee. Dass diese grundlegend reformiert werden muss, ist seit Jahren bekannt. Sogar Gelder der EU wurden bereitgestellt. Doch stets werden die Reformen verschleppt. Auch sieben Jahre nach dem Beginn der Reform gleichen die Truppen einer Lumpenarmee. Jetzt soll die Regierung von der UNO gezwungen werden, die Reformen auch wirklich durchzusetzen.

Ein erster Schritt ist die Bestrafung der Vergewaltiger. Nach der Niederlage in Goma im November 2012 hatten sich die Regierungstruppen ungeordnet in die Kleinstadt Minova nahe Goma zurückgezogen. Dort vergewaltigten sie in wenigen Tagen über 100 Frauen. Laut Recherchen der "Wiener Zeitung" waren bis Februar lediglich zwei Soldaten wegen sexuellem Missbrauch vor das Militärgericht gestellt worden. Die UNO hat der Regierung jetzt ein Ultimatum von einer Woche gestellt, die übrigen mutmaßlichen Vergewaltiger anzuklagen.