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UN-Experten: Energiepolitik in den Dienst einer nachhaltigen Entwicklung stellen

Von Irene Freudenschuss-Reichl

Politik

Mit unüblicher Deutlichkeit konstatierte die erste UNO-Verhandlungsgruppe zu Energiefragen kürzlich, dass die derzeitigen Muster von Erzeugung, Verteilung und Verbrauch von Energie nicht im Einklang mit nachhaltiger Entwicklung stehen. Auch dass man sich nicht darauf verlassen könne, dass Ressourcenknappheit oder Business-As-Usual uns auf einen nachhaltigeren Entwicklungspfad bringen würden, fand die ungeteilte Zustimmung der globalen Expertenrunde. Vielmehr sei politischer Wille nötig, mehr finanzielle Ressourcen (aus heimischen und internationalen Quellen) und eine bessere Zusammenarbeit beim Aufbau nationaler Kapazitäten sowie hinsichtlich des Einsatzes von Technologien, die die Welt auf einen nachhaltigeren Energiepfad lenken können.


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Die Expertenrunde erhielt ihr Mandat 1997 von der Sonder-Generalversammlung über die Fünf-Jahres-Überprüfung der Empfehlungen des Erdgipfels von Rio. Es war das Verdienst des damaligen österreichischen Umweltministers, Dr. Martin Bartenstein, die EU-Kollegen zu überzeugen, dass Energiefragen nicht länger im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung ignoriert werden dürften. Die EU setzte durch, dass sich die 9. Sitzung der Kommission für Nachhaltige Entwicklung im Jahr 2001 mit Energie- und Transportfragen beschäftigen würde; zur Vorbereitung des Energiethemas wurde eine Expertengruppe eingesetzt, die unter österreichischem und iranischem Ko-Vorsitz stand. Die Expertengruppe beendete ihre Arbeit am 2. März.

Zwei Milliarden Menschen haben keine Elektrizität

Die an die Kommission für Nachhaltige Entwicklung gerichteten Empfehlungen betonen die Bedeutung von Energie im Entwicklungskontext der Entwicklungsländer. Zwei Milliarden Menschen haben derzeit keinen Zugang zu Elektrizität und sind für das Kochen auf das Verheizen von Brennholz und Tierdung angewiesen. Durch den fehlenden Zugang zu modernen Energiedienstleistungen ist es diesen 2 Milliarden Menschen unmöglich, sich aus ihrer absoluten Armut zu befreien. Die Expertengruppe anerkannte, dass die internationale Gemeinschaft ihr großes Entwicklungsziel - nämlich den Anteil jener Menschen, die mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen, bis 2015 auf die Hälfte zu verringern nicht erreichen wird können, wenn nicht die Energie-Armut überwunden wird. Da die ländlichen Gebiete häufig bei nationalen Entwicklungsprogrammen zu kurz kommen, empfiehlt die Expertengruppe die Erstellung von Entwicklungsprogrammen für den ländlichen Raum mit einer expliziten Energiekomponente. Dabei soll auch das Potential von erneuerbaren Energie-Projekten zur Schaffung von Einkommen für die lokale Bevölkerung genützt werden. Natürlich soll die Energiedimension auch in bilaterale EZA-Projekte sowie in die Programme der Entwicklungsorganisationen der Vereinten Nationen und in die Darlehensvergabe der internationalen Finanzinstitutionen integriert werden.

Während die Überwindung der Energie-Armut ein wesentliches Ziel in der Armutsbekämpfung sein muss, sollte gleichzeitig Sorge getragen werden, dass die laut allen Projektionen in den nächsten Jahre drastisch ansteigende Energie-Nachfrage der Entwicklungsländer auf eine Art und Weise befriedigt werden kann, die Umweltbedenken Rechnung trägt. Das kann nur gelingen, wenn

- der Anteil der erneuerbaren Energieträger am Gesamt-Energie-Mix ansteigt,

- wenn das Potential für Energie-Effizienz (das in keiner Region der Welt noch ausgeschöpft ist) und für Energie-Sparen optimal realisiert wird,

- wenn verstärkt fortgeschrittene Energietechnologien eingesetzt werden, mit denen fossile Brennstoffe so genutzt werden können, dass wesentlich weniger (oder praktisch gar kein) Kohlendioxid freigesetzt wird;

- wenn im Verkehrsbereich - dem Sektor mit den am schnellsten wachsenden Emissionen - Lösungen gefunden werden können, die dem Mobilitätsbedarf auf umweltverträgliche Weise, vor allem durch die Förderung von integrierter Raumplanung und öffentlichem Verkehr Rechnung tragen.

Umweltverträgliche Energie für die Entwicklungsländer

Nur wenn heute die Weichen so gestellt werden, dass in 20 bis 30 Jahren der gestiegene Energie-Bedarf der Entwicklungsländer auf umweltverträgliche und effiziente Weise befriedigt werden kann, haben unsere Bemühungen um den Klimaschutz eine Chance. Ansonsten werden die Emissionsreduktionen durch die vollkommenste Umsetzung des Kyoto-Protokolls (das lediglich die Industriestaaten zu einer Verringerung um zirka 5 Prozent ihrer Emissionen gegenüber 1990 verpflichtet), sofort durch den Anstieg im Energieverbrauch der Entwicklungsländer zunichte gemacht.

Zum Glück gibt es aber - wie die großangelegte Studie des World Energy Assessment aufzeigt - Möglichkeiten, die es erlauben, sowohl das wirtschafts- und sozialpolitische Ziel des universellen Zugangs zu Energiedienstleistungen als auch die Ziele des (lokalen, regionalen und globalen) Umweltschutzes durch gut-konfigurierte energiepolitische Maßnahmen gleichzeitig zu verwirklichen.

Intensivere regionale und internationale Kooperation

Dazu gehören verstärkte Investitionen in Forschung und Verbreitung von Technologien und Managementmaßnahmen, Kapazitätsaufbau und Stärkung des technologischen Leaderships in den Entwicklungsländern, Bewusstseinsbildung, ökonomische Anreize (wie eine Berücksichtigung der Umweltbelastung in der Energiepreisgestaltung, oder das Auslaufenlassen von Subventionen für fossile Brennstoffe) und intensivere regionale und internationale Kooperation. Auch, dass zur Erarbeitung von guten Energie-Lösungen die Beteiligung aller Akteure nötig sei, wurde ausdrücklich anerkannt. Dieser Ansatz des "multi-stake-holder-dialogue" war die Schlüsselidee des von der österreichischen Außenministerin lancierten Global Forum of Sustainable Energy, das seine erste Tagung im Dezember 2000 zum Thema "Energie im ländlichen Raum: Handlungsprioritäten" erfolgreich absolvierte. Die Ergebnisse dieses Treffens lagen der UNO-Expertengruppe als offizielles Dokument vor.

Über viele der möglichen und wünschenswerten Maßnahmen waren sich Industrie- und Entwicklungsländer einig. Nicht geteilt wurde allerdings der Wunsch der EU, wenigstens sehr allgemeine gemeinsame Ziele zu formulieren. Dies erschien den Entwicklungsländern und auch den übrigen Industriestaaten angesichts der weit divergierenden nationalen Situationen aussichtslos. Auch über die Frage, wie groß die Rolle des Marktes sein solle oder könne, war man sich nicht einig. Fragen rund um die Verwendung von nuklearer Energie waren, wie nicht anders zu erwarten, höchst kontroversiell, und wurden auf die "politische Ebene" der Kommission für Nachhaltige Entwicklung verschoben. Dieses Schicksal ereilte auch das Kapitel im Schlussdokument zur weiteren Behandlung von Energiefragen im internationalen System.

Ein weiterer Schritt in die richtige Richtung

Ein Anfang aber, ist allemal gemacht. Energiefragen, die 1992 beim Erdgipfel noch tabu waren, sind mittlerweile integriert in den weiten Kreis der Nachhaltigkeitsagenda. Ohne Energie können die wirtschaftliche, soziale und ökologische Dimension der nachhaltigen Entwicklung nicht verwirklicht werden.

Also muss auch Energiepolitik in Zukunft in den Dienst der nachhaltigen Entwicklung gestellt werden. Das allein, scheint mir, hätte schon als Ergebnis genügt. Dass auch die großen Linien klar wurden, wie das geschehen könnte, ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung.

Dr. Irene Freudenschuss-Reichl ist die Ständige Vertreterin Österreichs bei den Vereinten Nationen in Wien. Sie führte gemeinsam mit Mohammad Reza Salamat den Vorsitz in der UNO-Expertengruppe zu Energie.