In der von der UNO verwalteten serbischen Krisenprovinz Kosovo finden heute Parlamentswahlen statt. Zahlreiche Vertreter der serbischen Minderheit hatten zu einem Boykott aufgerufen, da sie den Urnengang als weiteres Präjudiz für die von den Kosovo-Albanern angestrebte Unabhängigkeit der Provinz betrachten. Wie angespannt die Stimmung ist, zeigen auch die verschärften Sicherheitsmaßnahmen. So wurde die 20.000 Soldaten zählende internationale Schutztruppe (KFOR) um zusätzliche 1.500 Mann aufgestockt. Dadurch sollen blutige Hassausbrüche zwischen Albanern und Serben verhindert werden.
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Bereits zum zweiten Mal seit dem Ende des Kosovo-Krieges und der Einsetzung der UNO-Verwaltung vor fünf Jahren wählen die zwei Millionen Kosovaren ihr neues Provinzparlament. 32 Gruppierungen bewerben sich um die 120 Sitze, wobei zehn - unabhängig von der Stimmenanzahl - für die serbische Minderheit und zehn weitere für die Repräsentanten anderer Minoritäten reserviert sind.
Rugovas LDK neuerlich eindeutige Favoritin
Die meisten Stimmen wird aller Voraussicht nach auch diesmal die Partei des gemäßigten Albanerführers Ibrahim Rugova erhalten, wenngleich seine Demokratische Liga (LDK) jüngsten Umfragen zufolge nur noch mit 37 statt der 2001 erreichten 46 Prozent rechnen kann. Auf Platz zwei und drei dürften wieder die extrem-nationalistischen Albanerparteien PDK (Demokratische Partei) und AAK (Allianz für die Zukunft) landen.
Ihre Anführer Hashim Thaci und Ramush Haradinaj hatten einst in der UCK gegen die Belgrader Vormacht gekämpft. Der einstige Guerillachef Thaci wird vor allem von den USA unterstützt und soll dort in den letzten Jahren eine fundierte politische Schulung erhalten haben. Er hat bereits Interesse an der Nachfolge seines Parteikollegen und bisherigen Ministerpräsidenten Bajram Rexhepi angemeldet, seine Partei liegt nach Umfragen bei rund 22 Prozent. Sowohl Thaci als auch Haradinaj, beide radikale Verfechter einer sofortigen Abspaltung von Serbien, werden politische Morde nachgesagt. Haradinaj könnte, so wird jedenfalls gemunkelt, in Kürze vor dem UNO-Tribunal in Den Haag angeklagt werden.
Um den Einzug ins Parlament bewerben sich erstmals auch zwei moderate Gruppierungen. Zum einen ist dies die Bürgerliste ORA ("Zeit") des über die Provinzgrenzen hinaus bekannten Journalisten der größten Provinzzeitung "Koha Ditore", Veton Surroi. Er dürfte jedoch kaum über zwei Prozent (und damit 2 Mandate) kommen. Das gleiche gilt für Bujar Bukoshi und dessen 2002 aus dem Boden gestampfte Neue Partei (PreK). Der Urologe war in den 90er Jahren Exil-Premier des Kosovo. Beiden ist gemeinsam, dass sie weitaus weniger fanatisch die Unabhängigkeitskeule schwingen und eine Verbesserung der Wirtschaftlage als vorrangig betrachten. Auch sind sie, anders als ihre politischen Rivalen, der Überzeugung, dass der Klärung der Statusfrage für den Kosovo eine Konsolidierung der rechtsstaatlichen Standards vorausgehen sollte. Und zwar einschließlich der Autonomiefrage für die serbische Minderheit in dem völkerrechtlich nach wie vor zu Serbien-Montenegro gehörenden UNO-Protektorat Dieser Überzeugung ist mit Ausnahme der USA auch die internationale Kosovo-Kontaktgruppe (Russland, Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Italien).
Serben wollen den Urnen fernbleiben
Während die Status-Debatte auf albanischer Seite den Wahlkampf dominierte, beschränkte sich das Themenspektrum der serbischen Minderheit ausschließlich auf die Frage Wahlboykott ja oder nein. Die nach wie vor brisante Sicherheitslage für die nach dem Krieg 1999 in ihre Heimat zurückgekehrten Kosovo-Serben sowie interne Rivalitäten, die zum Bruch des bisher mit 22 Mandaten vertretenen Povratak-Bündnisses führten, dürften die Teilnahme an dem Urnengang gering halten.
Vor allem aber die Erinnerung an die Pogrome im letzten März, als albanische Fanatiker binnen zwei Tagen vor den Augen der KFOR 700 serbische Häuser, Klöster oder Kulturzentren niederbrannten, 19 Menschen umbrachten und über 4.000 vertrieben, sitzt den 100.000 bis 130.000 Kosovo-Serben (die UNO-Verwaltung UNMIK kann noch immer keine verlässlichen Bevölkerungsdaten vorlegen) tief in den Knochen. Die traumatische Erfahrung hat das Bedürfnis nach politischer Entsagung wohl noch verstärkt.
Gute Tipps aus Belgrad
Zum Wahlboykott aufgerufen hat neben zahlreichen Lokalpolitikern und der serbisch-orthodoxen Kirche im Kosovo auch Serbiens Ministerpräsident Vojislav Kostunica. In ihren Augen soll der Urnengang lediglich als Beweis dafür herhalten, dass im Kosovo die von der internationalen Gemeinschaft geforderten Standards, wie der Schutz der Minderheitenrechte und der rechtsstaatlichen Prinzipien, erfüllt seien - und damit dem Weg in die Unabhängigkeit der Provinz nichts mehr im Wege stehe. Aus Belgrad kamen jedoch auch anders lautende Signale. So ermunterten etwa Präsident Boris Tadic von der Demokratischen Partei und Außenminister Vuk Draskovic von der Serbische Erneuerungsbewegung) ihre Landsleute in Pristina, zu den Urnen zu gehen. Tadic verknüpfte seinen Aufruf allerdings an die Bedingung, dass die neue Kosovo-Regierung in den serbischen Enklaven innerhalb von 90 Tagen eigene Lokalbehörden mit den Kompetenzbereichen Polizei, Gerichts, Gesundheit und Bildungswesen zulässt. Im anderen Fall werde er die serbischen Abgeordneten in Pristina auffordern, ihre Mandate wieder niederzulegen. Die Regierung in Pristina wies sein Ansinnen umgehend zurück.
Die Forderung Tadics ist indes nicht nur Wahlkampfgeplänkel, sondern wird durchaus als eine der Zukunftsvarianten für den Kosovo diskutiert. Im Sommer kommenden Jahres beginnen unter UNO-Ägide die Verhandlungen über den künftigen Status. Neben der Frage der Autonomie oder Unabhängigkeit von Serbien wird dabei auch eine mögliche serbische Selbstverwaltung innerhalb der Provinz selbst diskutiert. Belgrad unterstützt dabei die Forderung der Kosovo-Serben nach einer territorialen Entflechtung der Siedlungsgebiete nach ethnischen Kriterien - ähnlich wie in Bosnien-Herzegowina, wo die Republika Srpska weitgehend autonom agieren kann.
Das Dezentralisierungsmodell könnte nach Einschätzung von Beobachtern bei den bevorstehenden Status-Verhandlungen durchaus auf Interesse stoßen. Heftig zu diskutieren wird freilich noch sein, welche Autonomiekompetenzen die Gemeinden erhalten und wie die Grenzen der Serbengebiete verlaufen sollen.
Zudem werden die Albaner im Tausch für mehr Autonomie die Unabhängigkeit des Kosovo einfordern. Wie ein möglicher Kompromiss aussehen könnte, ist heute noch schwer abschätzbar. Die offizielle Maxime, die die (seit April von dem Dänen Soren Jessen-Peterson geleitete) UNO-Verwaltung und die internationale Staatengemeinschaft vertreten, lautet jedenfalls nach wie vor "Standards vor Status", wenn auch zuletzt vermehrt Stimmen laut wurden, die dieses Prinzip nicht mehr als sine qua non betrachten. Vor allem die Vereinigten Saaten wären durchaus bereit, die zwei Millionen Kosovaren in die Eigenstaatlichkeit zu entlassen. Ausdrücklich gewarnt vor Grenzänderungen auf dem Balkan hat kürzlich der Beauftragte des Südosteuropa-Stabilitätspaktes, Erhard Busek. Dies wäre die "größtmögliche Dummheit", die man derzeit tun könnte.
Die Warnung kommt nicht von ungefähr. Das südliche Ex-Jugoslawien ist nach wie vor instabil, neue Konflikte können jederzeit aufbrechen. Vor allem das kommende Jahr wird kritisch. Neben den heiklen Status-Verhandlungen für den Kosovo findet ein Referendum über den serbisch-montenegrinischen Staatenbund statt. Die Los-von-Belgrad-Losung ist auch in Podgorica äußerst populär. Angespannt ist weiters die Lage in Mazedonien. Dort machen mazedonische Nationalisten gegen ein Dezentralisierungsgesetz mobil, was die Rechte der albanischen Minderheit im gemeinsamen Staat stärken soll. Am 7. November wird darüber ein Referendum entscheiden. Unruhen sind auch hier vorprogrammiert.