Die AKP will Verkehrsminister Yildirim zum Ministerpräsidenten machen.
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Ein "schwaches Profil" und "perfekte Harmonie" mit dem Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan seien in Zukunft die wichtigsten Anforderung an den türkischen Premier, schrieben regierungstreue Zeitungen, nachdem Erdogan den Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu vor drei Wochen zum Rücktritt gezwungen hatte. Insofern ist Binali Yildirim der ideale Nachfolgekandidat, denn er gilt als unambitioniert und loyal bis zur Selbstaufgabe.
Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP nominierte den 60-jährigen Verkehrsminister am Donnerstag als einzigen Nachfolgekandidaten.
Der Kandidat stammt aus der AKP-Gründergeneration, ist wie Erdogan tief religiös und erzkonservativ. Er verehrt den Präsidenten offenbar wie einen Propheten. "Erdogan ist der Gründer unserer Partei und der ewige Führer. Davutoglu ist nur der Parteichef", sagte Yildirim kürzlich in einem Interview. In der Türkei zweifelt niemand daran, dass es der laut Verfassung eigentlich zu parteipolitischer Neutralität verpflichtete Präsident war, der letztlich den Daumen für Yildirim hob. Es war sicher von Vorteil für ihn, dass er auch aus einer Umfrage unter 329 führenden AKP-Mitgliedern als Favorit hervorging. Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu lästerte, Kriecherei sei in der AKP inzwischen die Vorbedingung für einen Spitzenposten.
Der aus dem ostanatolischen Erzincan gebürtige Schiffsbauingenieur ist wie Erdogan ein Fan von Großprojekten und hat als Verkehrsminister viele Vorhaben des "ewigen Führers" in die Tat umgesetzt. Ob bei den neuen Hängebrücken über Bosporus und Golf von Izmit, den Bauabschnitten des geplanten Großflughafens bei Istanbul oder den Hochgeschwindigkeitsstrecken - immer steht Yildirim auf dem Foto neben dem Chef. Anders als bei Davutoglu erwartet niemand von ihm, dass er eigene Ideen äußert oder gar in die Tat umsetzt. Immerhin, wenn die Europäer mit ihm reden, können sie nun sicher sein, mit der richtigen Adresse in Ankara zu kommunizieren.
Angeschlagener Ruf
Erfüllt Binali Yildirim einerseits das "schwache" Anforderungsprofil an den neuen "Großwesir" nahezu perfekt, so ist er anders als der als unbestechlich geltende Davutoglu moralisch angreifbar. Sein Name fiel während des größten Korruptionsskandals der türkischen Geschichte im Dezember 2013, der den engsten Kreis um den damaligen Premier Erdogan bedrohte. Yildirim wurde damals als Transportminister ausgetauscht und trat vergeblich als Oberbürgermeisterkandidat in Izmir an. Zur gleichen Zeit spielte er die entscheidende Rolle als Vermittler bei der Übernahme der bedeutenden Calik-Mediengruppe für 637 Millionen Dollar durch Erdogan-treue Unternehmer.
Kürzlich hat sein Image als islamischer Politiker massiv gelitten, als sein Sohn Erkan im April beim Zocken im größten Casino von Singapur fotografiert wurde; Glücksspiele sind Sünde im Islam. In den Augen seines Förderers Erdogans dürfte dennoch schwerer wiegen, dass der ergebene Gefolgsmann entschlossen ist, das angestrebte exekutive Präsidialsystem durchzusetzen und hart gegen die kurdische Opposition vorzugehen, deren Parlamentariern die AKP am Freitag sogar fast komplett die Immunität entziehen will. Auf einem Sonderparteitag am Sonntag in Ankara soll Yildirim dann als Parteichef bestätigt werden und anschließend traditionsgemäß auch das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen.