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Unantastbare Grundregeln angetastet

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Saudi-Arabien wird von außergewöhnlichen Machtintrigen zwischen den Generationen des Königshauses erschüttert.


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Die Spannungen, die in der saudischen Königsfamilie gären, sind schon seit September offensichtlich, seit Joseph Westphal, US-Botschafter in Riad, den Thronfolger Kronprinz Mohammed bin Nayef treffen sollte. Bei seiner Ankunft wurde Westphal allerdings mitgeteilt, dass der Vize-Kronprinz Mohammed bin Salman, ein ungestümer 30-Jähriger, ihn stattdessen sehen wollte. Westphal wurde umdirigiert. Und die USA und der saudische Kronprinz überspielten ihre Verlegenheit.

Palastintrigen sind in Monarchien ein großes Thema; aber wie allerhöchst unpassend solch ein Machtspiel zwischen den Generationen gerade für Saudi-Arabien ist, lässt sich kaum ausdrücken. Robert Lacey hat 1981 in seinem Klassiker "The Kingdom" die Tradition der Ehrerbietung beschrieben, die die saudische Königsfamilie in guten wie in schlechten Zeiten zusammenhält: "Ehrerbietung Älteren gegenüber ist eine der unantastbaren Grundregeln Al-Sauds." Jetzt nicht mehr. Seit Jänner 2015, seit der Thronbesteigung König Salmans, wird Saudi-Arabien von der verwegenen Reformkampagne seines Sohns Mohammed bin Salman, im In- und Ausland nach seinen Initialen MBS genannt, erschüttert. Indem er die Älteren ausmanövriert, hat der junge Vizekronprinz die Politik dieser konservativen, manchmal verknöcherten Monarchie auf den Kopf gestellt. Würde "Game of Thrones" in der arabischen Wüste spielen, wäre es wahrscheinlich aus dem Stoff dessen, was seit 18 Monaten in Saudi-Arabien vorgeht. Anonyme Briefe zirkulieren, Flüsterkampagnen wirbeln umher. US-Präsident Barack Obama hat seinen Beraterstab angewiesen, unparteiisch zu bleiben. Aber sein Treffen mit MBS am 17. Juni im Weißen Haus, bei dem dieser fast wie ein Staatsoberhaupt behandelt wurde, könnte wie eine stillschweigende Unterstützungserklärung wirken.

Wie hat dieser Kampf begonnen? Weniger als eine Woche nach dem Tod von König Abdullah Anfang 2015 hat der neue König Salman Dekrete erlassen, die das Gleichgewicht der Macht im Königreich ändern. Er entließ zwei Söhne Abdullahs von ihren Gouverneursposten in Riad und Mekka. Und auch Prinz Bandar bin Sultan, der findige Ex-Botschafter in Washington, wurde von seinem Posten als nationaler Sicherheitsberater entlassen. Weiters setzte König Salman Mohammed bin Nayef als stellvertretenden Kronprinzen hinter dem damaligen Kronprinzen Muqrin ein und seinen Sohn als Verteidigungsminister und Vorsitzenden des neuen Wirtschafts- und Entwicklungsrats - somit hatte MBS sowohl die militärischen als auch die wirtschaftlichen Machthebel in der Hand. "Es war ein unblutiger Putsch", sagt ein saudischer Beobachter. Seit April 2015 ist Muqrin nicht mehr Kronprinz und MBS in der Thronfolge vorgerückt.

Die US-Regierung, obwohl darauf bedacht, in der Palastintrige nicht Partei zu ergreifen, scheint beizupflichten, dass die MBS-Reformen eine Chance für den Durchbruch sind, den Saudi-Arabien braucht. Aber US-Regierungsbeamte hoffen, dass der impulsive und manchmal arrogante junge Prinz nicht so schnell läuft, dass er fällt - und die politische Stabilität des Königreichs mitreißt.

Übersetzung: Hilde Weiss