Der Ökonom Brzeski erläutert, weshalb das erwartete Ankaufprogramm der EZB ein historischer Schritt ist, und warum sich Deutschland gerne an Dogmen festhält.
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"Wiener Zeitung": Viele Ökonomen gehen davon aus, dass die Europäische Zentralbank EZB heute, Donnerstag, den Ankauf von Staatsanleihen im großen Stil bekannt gibt. Sie auch?
Carsten Brzeski: Ja. Die EZB hat selbst die Erwartungen in den letzten Monaten in diese Richtung geschürt. Da hat sie sich in eine Ecke manövriert, aus der sie nicht herauskommt. Wenn man noch die hohe Markterwartung berücksichtigt, muss die EZB eigentlich liefern - liefern im Sinne von einer Ankündigung. EZB-Chef Mario Draghi hat die Märkte bisher mit Worten ziemlich gut beherrscht, und jetzt ist die Zeit gekommen, wo das nicht mehr reicht. Draghi wird das Ankaufen von Staatsanleihen - QE (Quantitative Easing) - ankündigen müssen. Auch wenn sich das makroökonomische Umfeld eigentlich in den letzten Wochen nicht besonders verändert hat. Von daher ist die Argumentation dafür und dagegen noch genauso gut wie vor einem Monat. Es gibt noch immer diese Deflationsgefahr, vor allem in Südeuropa.
Dem ständig fallenden Ölpreis, der zum Teil für die Deflation verantwortlich gemacht wird, werden andererseits nun Wunder für die europäische Konjunktur angedichtet?
Darüber scheiden sich die Geister in der EZB. Die Deutsche Bundesbank, bzw. die Nordeuropäer sagen, der niedrige Ölpreis ist ein Segen für die Konjunktur im Augenblick, ein Wachstumsschub. Warum muss man in so einer Situation noch mehr machen? Nur vergessen die Menschen, dass wir in Europa im Augenblick eben zwei unterschiedliche Zyklen haben. Denn in Deutschland und in Österreich sind die niedrigen Ölpreise wirklich eine Konjunkturspritze. In Südeuropa ist es anders, dort leidet man unter einer Arbeitslosenquote im doppelstelligen Bereich. Das, was mehr zur Verfügung steht, wird nicht ausgegeben, sondern maximal gespart.
Gleichzeitig sehen wir auch, dass mit diesen sehr niedrigen Inflationsraten - die zum Teil negativ sind -, die Gefahr besteht, dass sich eine Deflationsspirale verankert. Die Denkweise innerhalb der EZB, ob man sie mag oder nicht, ist hier sehr deutlich: Eine Deflationsspirale muss man von Anfang an unterbinden. Und das kann jetzt wirklich nur so funktionieren, dass man noch einmal einen Schritt weitergeht. Denn die EZB hat gesehen, dass die letzten Maßnahmen aus dem Spätsommer, die langfristige Liquiditätsoperation TLTRO (die langfristigen Refinanzierungsgeschäfte), der Aufkauf von Wertpapieren, dass das alles nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt hat, sodass sie jetzt nicht anders kann, als wirklich diese Staatsanleihen aufzukaufen.
Inwiefern ist diese EZB-Entscheidung der historische Dammbruch, als den ihn alle bezeichnen? Die EZB hat schließlich schon vorher Staatsanleihen gekauft, 2010 unter dem Titel SMP (Securities Markets Programme). Da sollte der Anstieg von Renditen der Anleihen angeschlagener Euroländer, etwa Griechenland und Italien gebremst werden. Weshalb jetzt dieser Aufschrei?
Weil das Programm jetzt absolut unbegrenzt und unbefristet ist. Ohne Bedingungen daran zu knüfen. Und, wie gesagt: groß.
Bei dem SMP-Programm handelte es sich letztendlich immer um sehr kleine Summen - zu klein, um ein richtiges Entsetzen zu bewirken. Gleichzeitig hat man zum Beginn der Eurokrise auch direkt oder indirekt immer Bedingungen an den Zukauf verknüpft. Jetzt gibt es eben den Vorwurf der Gelddruckerei. Da schreien die Deutschen immer laut auf. Denn Gelddrucken heißt für sie Hyperinflation, Staatsanleihen aufkaufen heißt monetäre Finanzierung, also das Aufkaufen von Schulden von Staaten. Und damit überschreite die EZB ihr Mandat. Doch diese Argumentation übersieht, dass das Aufkaufen von Staatsanleihen in allen Statuen als geldpolitisches Instrumentarium der Notenbank aufgelistet wird. Gleichzeitig geht es bei dem Anleihenkauf nicht um monetäre Finanzierung sondern um das Bekämpfen von Deflation und Stagnation im Euroraum. Die EZB hat nun mal die zwei Mandate - Preisstabilität gewährleisten und die Wirtschaftspolitik des Euroraums unterstützen. Sprich: Es muss Wachstum geschaffen werden. Auch wenn beides im Augenblick im Euroraum nicht der Fall ist.
Vergangene Woche hat der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs EuGH in einer Empfehlung gesagt, wenn die EZB Anleihen von Krisenstaaten im Rahmen eines OMT-Programmes (Outright Monetary Transaction) kaufen will, dann soll sie das auch tun. In Deutschland hatte man deswegen die Gerichte angerufen. Obwohl es sich dabei um unterschiedliche Programme handelt, feierten Beobachter die EuGH-Empfehlung zum OMT als finales Okay für das jetzt anstehende QE. Wieso?
OMT war der angekündigte Ankauf von Staatsanleihen von in Bedrängnis geratenen Krisenländern. Das heißt, die EZB wollte intervenieren, wenn sie das Gefühl hatte, dass der Markt verzerrt ist, die Rendite auf Anleihen nicht dem Marktpreis entspricht und auf die Pleite spekuliert wird. Es handelt sich also um eine andere Art des Staatsanleihenkaufs, und da auch nur für Länder, die schon unter dem Rettungsschirm sitzen. Das ist allerdings nicht das Bedeutsame an der EuGH-Empfehlung gewesen. Sondern vielmehr, dass der EuGH deutlich gesagt hat, dass die EZB alle Instrumente, die in ihrer Macht stehen, nutzen kann, um ihre Ziele zu erreichen. Das heißt, die EZB hat alle Freiheiten, um zu machen, was sie will. Damit wurde die Unabhängigkeit der EZB nochmals unterstützt. Wenn es QE gibt, und dann auch Details dazu bekannt werden, würde ich es aber nicht ausschließen, dass es dann wieder ein paar Deutsche gibt, die vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Aber die Empfehlung des Generalanwalts des EuGH war ein deutlicher Rückenwind für die EZB.
Die Gegner von derart unorthodoxen Entscheidungen der EZB argumentieren immer damit, dass die EZB laut Statuten nur ein geldpolitisches Mandat hat, aber kein wirtschaftspolitisches. Wie kann man hier die Grenze ziehen?
Es ist natürlich irrsinnig, so etwas zu unterscheiden. Eben auch, weil die EZB die Wirtschaftspolitik des Euroraums unterstützen muss. Ich wüsste nicht, wie es die EZB sonst machen soll. Das ist eigentlich auch ein Freibrief für die EZB, weil nämlich niemand es sich jemals anmaßen könnte oder dürfte, diese Differenzierung wirklich zu machen. Ist Zinspolitik keine Wirtschaftspolitik? Wenn sich die EZB die Meinung des EuGH-Generalanwalts ansieht, fühlt sie sich für QE nur eben mehr bestätigt, denn QE ist definitiv eine währungspolitische Angelegenheit. Hier geht es wirklich um die Bekämpfung von Deflation.
Die Hoffnung ist, dass QE die Deflation bekämpft. Aber kann man davon ausgehen, dass es reicht, den Markt mit Geld zu überschwemmen, dass dann die Wirtschaft anspringt und die Preise eben nicht sinken?
Natürlich ist es so, dass die Geldpolitik der EZB nur über die Realwirtschaft die Inflation anschieben könnte. QE sollte in der Hoffnung der Ökonomen die Zinsen noch einmal drücken, obwohl die ja schon sehr niedrig sind. Das betrifft die Kapitalmarktzinsen, die langfristigen Zinsen. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder sind die Zinsen dann so niedrig, dass Investitionen doch noch anziehen. Also, dass Investoren denken, "Wow, jetzt kann ich doch die neue Maschine kaufen", und sich daher einen Kredit nehmen. Oder, die Zinsen sinken und die Investoren denken: "Mist, ich muss jetzt raus aus dem Euroraum, die Zinsen sind zu niedrig, in den USA gibt es viel höhere Zinsen." Diese Marktteilnehmer würden dann ihre Euro-Anlagen verkaufen und damit den Wechselkurs weiter nach unten drücken, sodass wir dann über den schwächeren Euro, über die Exporte, wieder mehr Wachstum in Europa bekommen. Aber beide Kanäle gehen im Grunde über die Realwirtschaft. Denn es wird erst dann wieder ein bisschen Inflation geben, wenn wir auch ein bisschen Wachstum haben.
Reicht da die bloße Geldschwemme? Wenn keine Kunden da sind, brauche ich keine Investitionen.
Man braucht natürlich Begleitmaßnahmen. Damit kommen wir zum größten Problem, nämlich dass wir bisher denken, wir haben die EZB in der Hinterhand, und die EZB wird’s schon richten. Wenn wir jetzt QE haben wird es ein bisschen helfen. Aber es wird uns nochmal die Augen öffnen, dass es ohne die begleitenden Maßnahmen, nämlich die Wirtschaftspolitik, nicht funktionieren wird. Denn für Investitionen ist nicht nur der Preis der Kredite entscheidend, sondern auch die Rahmenbedingungen. Ob es eine europäische Vision gibt, an die man glaubt.
In den letzten Tagen sind von Deutschland Appelle gekommen, QE zu unterlassen. Neben der Geldentwertung war das Argument, dass die Krisenländer keine Reformen mehr durchführen würden. Was ist da die Logik dahinter?
Das hängt damit zusammen, dass man in Deutschland gerne einfach und sehr geradlinig denkt und die Komplexität der Währungsunion und der Eurokrise sehr schwer fassen kann. Daher hält man sich gerne an Dogmen und fixen Regeln fest. Von diesen Regeln, die so viel Sicherheit gegeben haben, abweichen macht Angst. Natürlich gibt es das Risiko, dass sich alle Teilnehmer des Euroraums zurücklehnen und nichts mehr tun, wenn es das billige Geld gibt. Aber das ist etwas zu vereinfachend. Denn es ist ja auch im Interesse der Krisenländer, und der schwächelnden Staaten, Italiens und Frankreichs, die Strukturreformen weiter durchzuziehen. Das jetzt ist ja nur eine Anschubhilfe. Wenn die Bundesregierung wirlich die Angst hätte, dass sich die Reformen verlangsamen, dann gibt es eine einfache Antwort: nämlich europäische Integration. Aber wir haben die Zeit, die die EZB uns immer wieder gekauft hat, nicht wirklich ausreichend genutzt. Da müssen sich auch viele Deutsche an die eigene Nase fassen.
Wie hoch wird das QE ausfallen?
Ich denke, dass keine Zahl genannt wird. Die EZB hat in der Vergangenheit die Details oft erst später bekannt gemacht. Außerdem würde man mit einer genauen Zahl vielleicht selbst ins Bein schießen. Auch wenn man es in Europa gerne hat, alles plakativ in eine Zahl zu gießen. Ich glaube, es würde stärker wirken, wenn die EZB erklärte, sie stehe weiterhin zu der Ausweitung ihrer Bilanzsumme, die ja von 2000 Milliarden Euro auf 3000 Milliarden Euro anwachsen soll. Das reicht, um dem Markt Entschlossenheit zu zeigen.
Zur Person
Carsten Brzeski
ist seit März 2013 Chef-Volkswirt der ING-DiBa und seit 2008 Mitglied des Research Teams der Bank. Brzeski ist Experte für wirtschaftliche und politische Entwicklungen in Deutschland und Europa, einschließlich der Geldpolitik der EZB. Der Ökonom bloggt auf ing-diba.de/brzeskis-blog.