Gemischte Gefühle bei den Reisenden, nostalgische Beamte. | Angst vor Kriminalität ist vorhanden. | Vor den Gleisen am Bahnhof in Hegyeshalom stehen drei österreichische Grenzpolizisten, ein vierter macht gerade ein Foto von ihnen. Ein bisschen melancholisch sind sie, denn für die Beamten ist es gewissermaßen ein Abschiedsfoto. Seit Freitagmitternacht ist der Grenzübergang Nickelsdorf/Hegyeshalom keine Schengen-Grenze mehr, somit wird auch nicht mehr jeder Reisende kontrolliert. Ein Reisedokument sollte man aber trotzdem dabei haben.
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Ihre Büros im Bahnhofsgebäude der ungarischen Bundesbahnen MAV in Hegyeshalom haben die Polizisten bereits geräumt. Auch ihre ungarischen Kollegen Gábor und Szabolcs haben schon zusammengepackt. Szabolcs ist nicht unglücklich darüber, dass er seinen Dienst jetzt tiefer im ungarischen Inland versehen wird. Anstatt 70 Kilometer wird er künftig nur noch sieben Kilometer in die Arbeit fahren müssen. "Bisher musste ich früh am Morgen weg und bin erst wieder nach Hause gekommen, als es schon dunkel war", sagt er. Gábor hat noch mehr Glück. Er wird überhaupt in seinem Heimatort stationiert sein.
Alles bleibt beim Alten
Soviel sich aber auch für die beiden Grenzbeamten persönlich ändern wird, so wenig, glauben sie, wird sich allgemein durch die Öffnung der Grenze ändern. "Das haben die Medien gehyped", sagt Szabolcs. An einen Anstieg der Grenzkriminalität glaubt er nicht, und der wenig gesprächige Gábor schüttelt den Kopf. Auch Friedrich, der auf dem Weg von Salzburg nach Mosonmagyaróvár ist und in Hegyeshalom nur umsteigt, findet, dass die Boulevardmedien übertrieben haben: "Jene, die herüber wollten, um etwas Illegales zu tun, die sind auch bisher herüber gekommen".
Wenn man ein vereintes Europa möchte, müsse man eben auch die Grenzen zwischen den Mitgliedsländern öffnen, sagt der 53-Jährige noch, bevor er in seinen Anschlusszug nach Mosonmagyarovár einsteigt.
Öffnung nicht bemerkt
Zeitsprung zurück zur Anreise nach Hegyeshalom: Der Zug aus Wien Westbahnhof ist unweihnachtlich leer. Im Großraumabteil sitzen relativ alleine Anthony und Melissa. Das 26-Jährige amerikanische Pärchen wohnt seit vier Monaten in Rom. Seit zwei Wochen sind sie auf Urlaub in Wien. Im IC 345 "Avala" Richtung Belgrad sitzen sie, weil sie für ein paar Tage nach Budapest fahren. Das Konzept der EU, die Mitgliedsstaaten enger zusammen zu bringen, hält Anthony für eine gute Idee. "Aber ohne offene Grenzen bleibt das reine Theorie." Dass die Grenze bereits offen ist, haben sie gar nicht mitbekommen, denn die "Herald Tribune" auf Anthonys Schoß ist zu diesem Zeitpunkt noch ungelesen.
Eine Reihe vor Anthony und Melissa sitzt Brigitte (55), die zum Zahnarzt nach Györ fährt. Die Grenzöffnung flößt ihr augenscheinlich mehr Angst ein als der Zahnarztbesuch. Die Linzerin glaubt, dass "Einbrecherbanden ein leichteres Spiel haben werden".
Aber das werde sich wohl in einigen Jahren normalisiert haben, räumt sie ein. Die Gefahr geht für Brigitte aber auf keinen Fall von den direkten Nachbarländern aus, sondern vielmehr traut sie den neuen Außengrenzen noch nicht: "Da wird das wohl noch nicht so gut funktionieren."
Zwei Waggons weiter, im Speisewagen des "Avala", frühstücken ein paar vereinzelte Reisende. Gerade genug, dass der Kellner keine Zeit für ein Gespräch hat. Ein bisschen Zeit haben aber Virág und Hubert, während sie auf ihr Frühstück warten.
Das Ehepaar ist unterwegs nach Hause - nach Szeged, einer ungarischen Stadt direkt an der Grenze zu Serbien und Rumänien. "Es war Zeit, dass die Grenze geöffnet wird", sagt Virag, "wir hoffen, dass sich etwas ändert, vielleicht dass es mehr Jobchancen gibt". Das sei Blödsinn, meint dazu Hubert: "Was soll sich ändern? Nichts wird sich ändern", sagt er frustriert.
Die junge Ungarin Judith, die gerade aus ihrem Urlaub zurückkehrt, hört dem Gespräch vom Nebentisch aus zu. Sie persönlich findet die Öffnung zwar gut, aber ein wenig wohler hat sie sich doch gefühlt, als an der Grenze noch jeder Einzelne kontrolliert wurde.
Inzwischen ist Wolfgang aus Mannheim am anderen Ende des Wagens mit seinem Frühstück fertig. Der 55-Jährige ist schon länger unterwegs. Er besucht über die Feiertage seine Kinder in Hegyeshalom.
Einerseits sei die Öffnung schön, so Wolfgang, weil sie einen "schnellen Verkehr" ermöglicht. Andererseits bestünde natürlich die Gefahr, dass die Kriminalität ansteigt. "Aber da muss man halt mal abwarten", meint der Deutsche.
Weniger gemütlich ist es in der Kälte bei den nostalgischen Grenzbeamten in Hegyeshalom: Sie steigen in den Zug zurück nach Wien mit ein, denn es wird weiterhin Kontrollen geben, so genannte "Ausgleichsmaßnahmen im Hinterland" oder Schwerpunktaktionen.
Kapitel abgeschlossen
Ohne die fotografierenden Polizisten wird es am Bahnsteig in Hegyeshalom wieder ruhig. Etwa 70 Kilometer entfernt, am Grenzübergang Klingenbach herrscht eine fast unheimliche Stille. Für Agnes, eine gebürtige Ungarin, die seit Jahrzehnten in Wien lebt, fühlt sich nach dem Kurzurlaub die Fahrt mit dem Auto über die Grenze nach Österreich am Freitag seltsam an. "Früher haben sie einen kontrolliert als wäre man ein Verbrecher. Dann haben sie nur einen flüchtigen Blick in den Pass geworfen. Und jetzt ist dort kein Mensch mehr und man fährt einfach so hinüber", sagt sie. "Es ist wieder ein Kapitel abgeschlossen."
Seltsam fühlt es sich auch im Zug an, wenn man jahrelang gewöhnt war, vier mal pro Reise in der Tasche oder im Rucksack kramen zu müssen - zwei Mal nach der Fahrkarte und zwei Mal nach dem Pass. Jetzt merkt man fast gar nicht mehr, dass man Österreich verlassen hat und in Ungarn ist. Nur noch der Wechsel des Mobilfunknetzes erinnert einen daran.