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Wollen die USA die Isis im Irak stoppen, kommen sie an Teheran nicht vorbei - In Wien soll es heute direkte Gespräche geben.
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Bagdad/Wien. Im Irak sind die islamistischen Isis-Brigaden unbeirrbar auf dem Vormarsch, es tobt ein Bürgerkrieg zwischen der schiitischen Regierung und den sunnitischen Terroristen, die ihre Gegner zu Hunderten exekutieren - zumindest legen das Videos nahe, die im Internet kursieren und die unabhängig noch nicht bestätigt sind.
Die US-Regierung sieht sich mit einer komplizierten Situation konfrontiert. Präsident Barack Obama betont, dass in erster Linie der Irak, in dessen Aufbau Washington Milliarden Dollar investiert hat und der jetzt um ein Haar wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen wäre, für die Bekämpfung der Extremisten zuständig ist. Zuletzt scheint es gelungen, die Islamisten zumindest an einem raschen Vordringen nach Bagdad zu hindern.
Die Frage ist, ob die sunnitischen Islamisten, in deren Reihen sich neben brutalen Exekutionskommandos auch einige fähige Strategen befinden, die irakische Hauptstadt je besetzen wollten. Hier gibt es sunnitische Bezirke - und Gegenden wie Sadr City, wo Schiiten in der Mehrheit sind. Die Gefahr, in einen aufreibenden Kleinkrieg verwickelt zu werden, ist groß.
Iran schon an Ort und Stelle
Obama hat ausgeschlossen, dass die USA wieder Bodentruppen in den Irak schicken. Nach 5000 toten GIs hat der Demokrat 2011 stolz den völligen Abzug verkündet, ein erneutes Engagement kommt für ihn nicht in Frage. Ob es Schläge aus der Luft geben wird, ist noch nicht klar. Immerhin ist der Flugzeugträger "George H. W. Bush" auf dem Weg in die Region, ebenso wie die "USS Mesa Verde" mit 550 GIs an Bord. Washington sagt, man wolle sich damit "Optionen" offen halten.
Wenn die USA tatsächlich militärisch - in welcher Form auch immer - im Irak tätig werden wollen, kommt ihnen der Iran in die Quere. Denn Teheran hat nach Medienberichten bereits 500 Elite-Kämpfer in das Nachbarland entsandt, die auf der Seite der irakischen Regierung gegen die Isis-Männer kämpfen. Wenn die USA also auf der Seite Malikis ebenfalls eingreift, befindet man sich zwangsweise in einem Bündnis mit dem Iran - einem Land, mit dem die USA seit 1979 verfeindet sind und keine diplomatischen Kontakte unterhalten.
Bei den Atomgesprächen in Wien, die diese Woche anlaufen, wird es deshalb auch um den Irak gehen. Und es wird zwischen den beiden Ländern direkte Gespräche geben, eine erste Runde ist für heute Dienstag vorgesehen. Derartige diplomatische Interaktionen zwischen den zwei Erzfeinden wären vor kurzem noch undenkbar gewesen. Sie sind möglich, weil Irans neuer Präsident, Hassan Rohani, das Steuer pragmatisch in Richtung Entspannung umgelegt hat und sich von der radikalen anti-amerikanischen und antisemitischen Phrase seines Vorgängers Mahmoud Ahmadinejad verabschiedet hat. Und weil man in Washington Angst vor einem neuen Terrorstaat hat. Außenminister John Kerry ist, ebenfalls pragmatisch, zu "Gesprächen" mit dem Iran "bereit". Die US-Regierung sei für "jeden konstruktiven Prozess, der die Gewalt verringert, den Irak zusammenhält".
Wie wichtig die Angelegenheit für die USA ist, zeigt, dass die Nummer zwei der amerikanischen Diplomatie, Vize-Außenminister William Burns, an den Gesprächen in Wien teilnimmt. Bereits in der Vorwoche hat die US-Diplomatie vorgefühlt und die Möglichkeiten sondiert, den Iran als "Krisenfeuerwehr" im Irak einzusetzen.
US-Diplomaten weisen allerdings den Eindruck, dass hier eine neue strategische Partnerschaft Gleichgesinnter entsteht, zurück. Die USA und der Iran hätten keine gemeinsamen Interessen mit Ausnahme des Irak. Eine vorsichtige Annäherung ist im Gange, die Auswirkungen auch auf den Atomstreit hat - was von Washington kaum zu leugnen sein wird. Der Iran wird sich hier Zugeständnisse von US-amerikanischer Seite erwarten und diese unter Umständen auch bekommen.
Die Entwicklung wird vor allem von Israel argwöhnisch beobachtet. Hier ist man der Meinung, dass der Iran an einer Atombombe arbeite mit dem Ziel, Israel zu vernichten. Dass die neue iranische Führung unter Rohani zuletzt moderate Töne angeschlagen hat, wird von der Regierung unter Benjamin Netanyahu als bloßes Manöver abgetan. Nicht begeistert über eine Kooperation der USA mit dem Iran wäre auch Saudi-Arabien. Der wahabitische Erdölstaat ist mit dem Iran verfeindet. Die Terrorgruppe Isis, um deren Bekämpfung es jetzt geht, hat Gelder auch aus Saudi-Arabien erhalten.
Massenexekutionen?
Anders als im Fall der Suche nach angeblichen Massenvernichtungswaffen 2003 hat die Angst vor den Terror-Brigaden der Isis ein sehr reales Substrat. In zahlreichen Videos und Fotos zeigt Isis zuletzt grausame Exekutionen ihrer Gegner. Man sieht Menschen in Zivilkleidung, die gefesselt auf dem Boden liegen und von Vermummten hingerichtet werden. Zu sehen sind zudem Auspeitschungen.
Laut Medienberichten scheint sich Isis vorläufig in der westirakischen Provinz Anbar und im Norden zwischen Mossul und Bagdad festgesetzt zu haben. Die "New York Times" berichtet, die Extremisten hätten auf eine klassische Guerilla-Taktik verzichtet und stattdessen nach langer Vorbereitung eine Schneise quer durch das Land getrieben. Mit der Kontrolle über die drei großen Autobahnen nördlich von Bagdad sei nun die Kurdenregion vom Rest des Iraks abgeschnitten, "das könnte das Land endgültig zersplittern". Da sich die Vereinigten Staaten wie in Libyen und in Syrien militärisch zurückhalten wollen, der irakische Staat morsch ist und viele Interessengruppen im Land operieren, ist davon auszugehen, dass sich das Land in ein chaotisches Bürgerkriegsgebiet verwandelt.
Die Isis hat den kurdischen Kampfverbänden unterdessen einen Waffenstillstand angeboten, um sich auf ihre Offensive im Süden konzentrieren zu können und die Regierung in Bagdad weiter zu schwächen. Ein Isis-Kurier hat den Kurden angeboten: "Wenn ihr uns nicht angreift, greifen auch wir nicht an." Die Kurden haben zuletzt ihren Einflussbereich ausweiten können, sie sind die großen Profiteure der letzten dramatischen Entwicklungen im Nahen Osten.