Beratungsverein fordert Notwohnung für Opfer von Zwangsverheiratung.
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Wien. Sie wollen nicht. Aber sie können auch nicht Nein sagen. Denn dann verlieren sie ihren familiären Rückhalt, sind viel zu früh im Leben auf sich alleine gestellt - und noch dazu massiven Repressalien bis hin zu physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt. Rund 200 Mädchen und junge Frauen werden nach einer Schätzung des Frauenministeriums jährlich in Österreich zwangsverheiratet.
Offizielle Statistiken gibt es dazu nicht. Denn die Zahl der Anzeigen ist verschwindend gering. Um betroffenen Frauen den Weg vor ein Gericht zu erleichtern, hat der Ministerrat am Dienstag eine Verschärfung des Strafgesetzes in diesem Bereich beschlossen. Derzeit sind Zwangsverheiratungen als "schwere Nötigung" im Paragrafen 106 des Strafgesetzbuches geregelt. Wer Menschen zu einer Ehe nötigt, ist demnach mit einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von sechs Monaten bis fünf Jahren bedroht. Allerdings trifft dies nur dann auf Zwangsverheiratungen im Ausland zu, wenn dies auch im Ausland strafbar ist. Außerdem müssen derzeit sowohl Opfer als auch Täter österreichische Staatsbürger sein, damit der Täter bestraft werden kann, heißt es aus dem Justizministerium.
Das soll sich nun ändern: Mit der Novelle ist künftig einerseits die Gesetzeslage in dem Land, in dem die Zwangsverheiratung durchgeführt wurde, für eine Strafverfolgung irrelevant. Außerdem wird es künftig auch ausreichen, wenn entweder Opfer oder Täter Österreicher sind oder aber einen Wohnsitz in Österreich haben. Im Justizministerium hofft man, den Betroffenen damit den Gang zur Polizei zu erleichtern. Allerdings sei das "Strafrecht kein Allheilmittel" - zusätzlich Anlaufstellen zu schaffen, wo sich Frauen nach einer Anzeige sicher fühlen, wäre "wünschenswert".
Eine solche Anlaufstelle ist seit mehr als einem Jahrzehnt der Verein Orient-Express in Wien. Im vergangenen Jahr wurden dort 79 Klientinnen betreut, 56 davon waren von Zwangsverheiratung bedroht, 23 bereits betroffen.
Gesetzesänderungen sind "lächerlich" und nutzlos
"Immer werden nur die Gesetze verschärft, das ist wirklich lächerlich", kritisiert die Beraterin Gül Ayse Basari im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Dass eine Bestrafung unabhängig von der Gesetzeslage im Heiratsland ist, sei egal: Zum Beispiel sei Zwangsehe auch in der Türkei strafbar - und trotzdem stammten viele ihrer Klientinnen von dort. Weitere Hauptherkunftsländer sind die arabischen Staaten, Indonesien, aber auch europäische Länder wie beispielsweise der Kosovo oder Griechenland. Rund 80 Prozent der Betroffenen hätten aber die österreichische Staatsbürgerschaft - es habe also auch wenig Sinn, die Strafbarkeit von der Staatsbürgerschaft abzukoppeln.
Das Problem der Zwangsverehelichung habe nichts mit der Integration zu tun: "Wie kann man nur so einfach denken", meint Basari, die seit 20 Jahren Mädchen berät, verärgert: "Es gibt auch integrierte Familien, in denen die ,arrangierte Ehe’ die einzige Heiratsform ist." Egal, wie streng das Strafgesetz ist: "Wir können unsere Mädchen nicht schützen." Denn sobald die Eltern merken, dass sich die Betroffenen Hilfe suchen, würden sie in die Heimat zurückgebracht.
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"Österreich ist 20 Jahre hinter Deutschland zurück"
Dringend notwendig sei vielmehr die Einrichtung einer Notwohnung an einem geheimen Ort - dort könnten die Mädchen zur Ruhe kommen und wären vor dem Zugriff der Familie gefeit. Österreich sei hier "20 Jahre hinter Deutschland zurück", wo es eine derartige Einrichtung eben schon seit zwei Jahrzehnten gibt.
Geht es nach Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek, dann ist man von einer solchen Notwohnung zumindest nicht mehr allzu weit entfernt. Nachdem dies bereits 2008 im Regierungsprogramm verankert wurde, habe man im Sommer eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit dem Innenministerium eingerichtet. Bis Jahresende soll ein Plan vorliegen, wie eine solche Wohnung aussehen und wie sie finanziert werden soll. Laut Frauenministerium liegen die Errichtungskosten bei 80.000 Euro, für den laufenden Betrieb seien jedes Jahr rund 310.000 Euro nötig. Die Hälfte der Kosten würden vom Frauenministerium getragen, über die andere Hälfte müssten sich Innen- und Justizressort klar werden. Im Büro von Johanna Mikl-Leitner ist man zuversichtlich, bald eine Einigung zu finden. Ziel sei es, Wohnungen anzumieten, damit die Adresse geheim gehalten und im Fall eines Bekanntwerdens rasch gewechselt werden kann.
Eine ähnliche Einrichtung gibt es in Österreich bereits: In Wien betreut der Verein Kolpinghaus sechs volljährige Frauen in Notsituationen an einem geheimen Ort. Die Finanzierung übernimmt zu 60 Prozent die Stadt Wien.