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Und dann war Sendeschluss

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik

Koalitionszwist nach der überfallsartigen Schließung des staatlichen Senders ERT.


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Athen. Leichenblass steht Nikos Oikonomopoulos in der Nacht zu Mittwoch im Raum der Sportredaktion im zweiten Stock des ERT-Hauptgebäudes in der Mesogeion-Straße. Es ist brütend heiß, die Klimaanlage läuft nicht. Alle Sportredakteure von Griechenlands staatlichem Fernsehsender ERT sind da, es ist schon drei Uhr in der Nacht. Keiner arbeitet hier. Alle starren schweigend auf den Bildschirm eines Fernsehers. Seit Stunden läuft nur noch eine Livesendung aus dem ERT-Hauptstudio ein Stockwerk tiefer. Mit Studiogästen, mit Live-Schaltungen. Einziges Thema: die abrupte Schließung des Staatssenders. Nach 75 Jahren. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Einfach so.

"Wie soll ich mich fühlen? Ich bin zutiefst enttäuscht. Ich bin entlassen, nach 24 Jahren bei ERT. Ich weiß nicht, wie es weitergeht", sagt Oikonomopoulos. Seine Frau sei seit eineinhalb Jahren arbeitslos, sagt er. Sie habe ihren Job im Privatsektor verloren. Eine von mittlerweile mehr als 1,3 Millionen Arbeitslosen im krisengebeutelten Elf-Millionen-Einwohner-Land. Jetzt vergrößert ihr Mann Nikos mit weiteren 2655 ERT-Beschäftigten, darunter mehr als 600 Journalisten, das ständig größer werdende Heer der Hellenen ohne Job. "Eigentlich müsste ich bei dieser Hitze schwitzen. Für mich sind es aber gefühlte zehn Grad unter dem Gefrierpunkt", sagt Oikonomopoulos.

Draußen auf dem Areal des ERT-Hauptgebäudes haben sich mehrere tausend Menschen eingefunden. Sie schwenken Fahnen, sie singen Lieder des griechischen Widerstands während der Obristendiktatur, sie strecken geballte Fäuste in die Luft. Für sie ist das Blitz-Aus von ERT vor allem "undemokratisch, autoritär, schlimmer als in der Junta", wie sie aufgebracht sagen.

Neue ERT mit einem Drittel des Personals

Regierungssprecher Simos Kedikoglou begründete die Schließung am Abend mit der "Intransparenz" und "unglaublichen Verschwendung", die beim Staatsrundfunk herrsche. Die Regierung wolle damit sofort Schluss machen. Schon um Mitternacht werde das Programm vorerst beendet. Später soll eine "neue ERT" mit einem Drittel des Personals auskommen, einhundert Millionen Euro sollen dadurch eingespart werden.

Doch der Sender ist weit von einer Pleite entfernt: Der 1938 gegründete Rundfunksender hat seit 2011 hauptsächlich mit der Rundfunkgebühr von 50 Euro pro Haushalt 300 Millionen Euro eingenommen und einen Vorsteuer-Gewinn in Höhe von insgesamt rund 100 Millionen Euro erwirtschaftet. Den ERT-Mitarbeitern wurden - wie den meisten Griechen - seit Ausbruch der Krise die Gehälter gekürzt.

Der Marktanteil beläuft sich je nach ERT-Sendung in der Regel auf drei bis zehn Prozent. Die handstreichartige ERT-Schließung macht ökonomisch wenig Sinn: Denn ERT hat millionenschwere Exklusiv-Senderechte für sportliche Großereignisse in den nächsten Jahren erworben und dafür fällige Vorauszahlungen geleistet. Pikant: Schon beginnt das Gefeilsche unter den von einheimischen Oligarchen kontrollierten privaten Fernsehsendern um die lukrativen Senderechte. Deren ohnehin starker politischer Einfluss dürfte nach dem abrupten ERT-Aus weiter wachsen. Berlusconi lässt grüßen.

22.54 Uhr: Sendeschluss

Um genau 22.54 Uhr Ortszeit am Dienstag war das ERT-Fernsehprogramm analog nicht mehr zu empfangen. Nur wenige Minuten später folgte das Aus für das Radioprogramm. Kurz vor Mitternacht war von den ERT-Computern kein Zugang zum Internet mehr möglich. In diversen Regionen Griechenlands sendete ERT jedoch auch am Mittwoch weiter. Der Grund: Beschäftigte der Telekomgesellschaft OTE, die sich solidarisch mit dem ERT-Personal zeigen, sorgten für die Aufrechterhaltung des Sendebetriebs.

Doch der plötzliche Sendeschluss zieht ein politisches Erdbeben nach sich: "Szenarien für vorgezogene Neuwahlen", schrieb die konservative Zeitung "Kathimerini".

Der Titel des Blatts hat gute Gründe. Übereinstimmenden Informationen zufolge handelte der konservative Premier Antonis Samaras, der seit vorigem Juni eine Drei-Parteien-Regierung von Sparbefürwortern anführt, in Sachen ERT im Alleingang. Die beiden linksgerichteten Athener Koalitionäre, die Pasok-Sozialisten und die Demokratische Linke (Dimar), wiesen jedenfalls jede Verantwortung für die plötzliche ERT-Schließung weit von sich. Am Mittwochnachmittag reichten Pasok und Dimar einen separaten Gesetzentwurf zu ERT im Athener Parlament ein und gingen damit endgültig auf strikten Konfrontationskurs zu Samaras. Ganz allein ist Samaras in seinem politisch höchst riskanten Vorgehen in Sachen ERT aber nicht. Die einzige Parlamentspartei, die sich neben der Samaras-Partei Nea Dimokratia unverhohlen für den abrupten ERT-Tod aussprach, war ausgerechnet die rechtsextreme Goldene Morgenröte.

Dem gewaltigen Echo im In- und Ausland zum Trotz: Samaras beharrt offensichtlich auf seinen Kurs. Beobachtern zufolge steht Samaras unter gewaltigem Druck der Geldgeber-Troika aus EU, EZB und IWF, nach dem Fiasko der Gasprivatisierung am Montag zumindest in Sachen Entlassungen von Staatsbeamten Flagge zu zeigen. Bis zum Ende des laufenden Jahres sollen alleine 4000 Staatsdiener den Hut nehmen. Doch nun steht wohl erst einmal der nächste Urnengang in Hellas bevor. Bei einem Treffen mit Griechenlands Gewerkschaftschef Jannis Panagopoulos sagte Samaras am Mittwoch jedenfalls: "Es bleibt bei der ERT-Schließung. Andernfalls gibt es noch eine andere Option: vorgezogene Neuwahlen."