Wer am Weltenlauf zu verzweifeln droht, dem kann vielleicht die Euro den Glauben an das Gute zurückgeben. | Fußball dient bekanntlich vielen klugen Köpfen dazu, zu tieferen Wahrheiten über das menschliche Dasein vorzudringen. Die Analogie vom runden Leder zum Weltenglobus liegt aber auch tatsächlich auf der Hand. Einfachere Geister begnügen sich dagegen mit simpleren Ableitungen. Ihnen reicht oft schon das nackte Spielresultat, um zu sehen, ob noch Gerechtigkeit auf dieser Welt herrscht.
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Der Abschluss der ersten Runde in der Gruppenphase der Europameisterschaft bietet sich deshalb für einen Reality-Check geradezu an. Also zehn Thesen, warum die Welt gemäß uralten Fußballweisheiten und wider alle Erwartungen doch eine gerechte ist:
* Weil Italien nach der grandiosen Niederlage gegen die Niederlande nun endlich aller Welt beweisen darf, dass seine Bewohner nicht nur in den Träumen der nördlichen Frauen zu verspielter Kreativität mit Offensivdrang fähig sind.
* Weil eine höhere Macht, welchen Namen sie auch immer trägt, nicht den gleichen Fehler zweimal macht. Oder wie es die Blues-Legende BB King einst in einem wunderbaren Lied auf den Punkt brachte: Fool me once, shame on you - fool me twice, shame on me. Den Griechen dämmert langsam, dass sie sich für ihren Fußball schämen sollten. Danke, alte Schweden.
* Weil Geld Tore schießt. Sonst hätte ja wohl nicht ausgerechnet jener Zlatan Ibrahimovic das vorentscheidende Tor gegen die Griechen geschossen, der mit 12 Millionen Euro Netto-Jahresgage der derzeit bestbezahlte Fußballer der Welt ist.
* Weil Schiedsrichter auch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen. Sonst wäre die Euro 2008 für Emanuel Pogatetz schon nach 29 Minuten vorbei gewesen.
* Weil Schiedsrichter Recht vor Hausverstand setzen. Wer, bitte, hätte sonst dieses Abseitstor von Ruud van Nistelrooy gegen Italien gegeben?
* Weil sich die Menschen aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien beginnen. Und deshalb lieber ihre eigenen Partys organisieren, als der Gewinnsucht der Uefa auf den Leim zu gehen.
* Weil Hochmut bekanntlich vor dem Fall kommt. Sonst wären die an und für sich ja gar nicht unstolzen Spanier nach ihrer eindrucksvollen Vorstellung gegen die jugendlich-ungestümen Russen derzeit nicht so verdächtig kleinlaut und bescheiden.
* Weil Dabeisein auch nicht alles ist. Und das Schicksal es den Engländern deshalb erspart hat, ein weiteres Mal im Elfmeterschießen auszuscheiden.
* Weil Deutschland noch lange nicht Europameister ist.
* Weil auch für Österreich die Hoffnung zuletzt leise Servus sagt.