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Und jetzt ist gut

Von Simon Rosner

Politik

Noch nie ist ein Bundespräsidentschaftswahlkampf medial so intensiv geführt worden.


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Wien. Es gibt Fragen, die man nahezu täglich hört, an sie hat man sich gewöhnt, sie stören nicht weiter: Wie geht’s? Gemma Mittagessen? Was spielt’s im Fernsehen? In den vergangenen Wochen sind zu Fragen dieser Art weitere hinzu gekommen, die man ebenfalls fast täglich zu hören und lesen bekommen hat, auch wenn man sie nicht selbst beantworten musste. Das mussten die Bundespräsidentschaftskandidaten tun.

Werden Sie, Alexander Van der Bellen, Heinz-Christian Strache als Kanzler angeloben? Werden Sie, Norbert Hofer, die Regierung entlassen? Nach einem wochenlangen Wahlkampfmarathon auf so gut wie allen medialen Plattformen, die das 21. Jahrhundert zu bieten hat (ja, sogar Periscope!), mag man sich an diese immergleichen Fragen gewöhnt haben. Doch anders als beim täglichen "Wie geht’s?" konnte man diese Fragen irgendwann nicht mehr hören. Es gibt ein Zuviel, für Konsumenten wie für Kandidaten, was Hofer und Van der Bellen im finalen Duell im ORF auch anzusehen war. Die Energie war sichtbar draußen. Sie beantworteten zwar alle Fragen, auch fast immer sachlich und geradezu präsidial, doch es wirkte fast schon so, als könnten sie selbst die Fragen nicht mehr hören.

Inhaltliche Fragen von Beginn an

Die doch sehr spezielle politische Zeit, in die die Republik gerutscht ist, hat diesem Wahlkampf eine inhaltliche Komponente verpasst, die bisherige Hofburg-Wahlen kaum hatten. Das Umfragehoch der FPÖ, die Dysfunktionalität der Regierung, ein Europa, das seine Lösungskompetenz verloren zu haben scheint, bedingte, dass über verfassungsrechtliche Kompetenzen des Bundespräsidenten debattiert wurde, deren Ausübung realpolitisch nicht vorgesehen ist. Dass Heinz Fischer einmal ein Gesetz nicht unterfertigte, war die größtmögliche Aufregung seiner Amtszeit, bei Fischers Vorgänger Thomas Klestil war es seine grimmige Angelobungsmiene.

Es hat dem Wahlkampf, der im Jänner begonnen und ab März Fahrt aufgenommen hat, gut getan, dass über die Kompetenzen des Präsidenten debattiert worden ist. Wofür ein Kandidat steht, welche Weltsicht er oder sie hat, ist für die Wahlentscheidung zwar vermutlich wichtiger, allerdings eben recht schnell erzählt.

Die hohe Anzahl und Dichte an Medienauftritten, die es bei einer Bundespräsidentenwahl in dieser Form noch nie gegeben hat, bedingte geradezu, dass eine stärkere inhaltliche Aufbereitung des Wahlkampfes stattfindet.

Doch auch diese Themen waren spätestens am 24. April, mit dem ersten Wahlgang, erschöpfend debattiert worden. Und wirklich inhaltlich Neues hörte man von den zwei übrig gebliebenen Kandidaten in den vier Wochen seither auch nicht mehr. Wie auch? Doch das Auftreten von Hofer und von Van der Bellen änderte sich merklich.

Schon wenige Tage nach dem ersten Durchgang diskutierten die beiden im ORF-Radio miteinander, damals noch harmonisch, zwar um Distanz bemüht, aber auf der persönlichen Ebene doch verbindlich, ruhig und sachlich. In den folgenden Debatten trat der durch das Wahlergebnis zum Herausforderer degradierte Van der Bellen dann aber bedeutend offensiver auf, unterbrach sein Gegenüber in Livediskussionen, versuchte Hofer vielleicht auch zu provozieren, um ihm die ostentative Nettigkeit ein bisschen auszutreiben.

Tiefpunkt als logische Folge?

Dass es zwischen Hofer und Van der Bellen dann eben doch zur Sache ging, brachte Dynamik in den Wahlkampf. Diesmal setzte auch ATV auf das Konfrontationsformat. Der Sender ließ die zwei Kandidaten ohne Moderator diskutieren, was einerseits ein Experiment war, anderseits aber auch ein Rückgriff auf die ersten TV-Debatten in den 1970er Jahren. Damals gab es auch keinen Moderator. Der Unterschied jedoch: Bruno Kreisky diskutierte vor der Wahl ein einziges Mal und nicht fast täglich auf allen Kanälen.

Die Sendung wurde zum negativen Höhepunkt dieses Wahlkampfes aus Sicht der politischen Kultur, rein medial war sie freilich für ATV ein großer Erfolg. Die führungslose Debatte entgleiste, sogar einige ausländische Medien berichteten fassungslos.

Vielleicht war diese Sendung aber auch eine logische Folge dieses Medienmarathons, dieser unzähligen Interviews, der vielen Duelle, der immergleichen Themen, Vorhaltungen und Fragen. Ist Van der Bellen wirklich unabhängig? Hat Hofer ein autoritäres Amtsverständnis? Was bedeutet Heimat? Wie hält man’s mit der EU? Wohin geht die erste Auslandsreise?

Irgendwann ist alles beantwortet, zehn Mal, zwanzig Mal. Irgendwann kann man weder die Fragen noch die Antworten hören. Und irgendwann wird man auf die Alltagsfrage, was es denn heute im Fernsehen spielt, erleichtert antworten: Gott sei Dank keine Wahlkonfrontation mehr.