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Die Nahostpolitik zählte zweifellos zu den primären Interessensgebieten Bruno Kreiskys, dennoch wird dieser Bereich in den verschiedensten Feierlichkeiten zu seinem 100. Geburtstag eher vernachlässigt. Möglicherweise hat dies mit einer infolge der Waldheim-Affäre in der heimischen Wissenschaft und Publizistik geschaffenen "politischen Korrektheit" zu tun. Als einer, der sich seit langer Zeit auf den nahostpolitischen Spuren Kreiskys bewegt, erlaube ich mir daher einige gegen den Strom gerichtete Feststellungen.
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Da ist einmal die Einschätzung des Staates Israel. Kreisky hat mehrfach vor einer faschistischen Entwicklung im "Staat der Juden" gewarnt. Es bedurfte nicht der jüngsten Gruppenreisen europäischer Rechtsradikaler, um schmerzlich zur Kenntnis nehmen zu müssen, dass er mit dieser Warnung absolut recht behalten hat. Inzwischen gibt es eine lange Liste prominenter israelischer Persönlichkeiten, die vehement über rassistische und faschistoide Entwicklungen in Israel klagen. Dass manche dieser Frauen und Männer inzwischen die Flucht aus ihrer Heimat angetreten haben, darunter ehemalige Parlamentspräsidenten und Minister, wird kaum wahrgenommen. Auch nicht die Tatsache, dass kritischen Wissenschaftern die Tätigkeit an israelischen Universitäten unmöglich gemacht wird.
Dann ist da ein heftig kritisiertes Zitat Kreiskys über das jüdische Volk. Nun mag die Wortwahl damals tatsächlich aus einer momentanen Emotion heraus zu scharf gewählt worden sein, nur ist dieser Streit inzwischen theoretisch, sprich wissenschaftlich, entschieden. Spätestens seit Veröffentlichung des Buches "Die Erfindung des jüdischen Volkes" des israelischen Historikers Shlomo Sand ist das ideologische Fundament des Zionismus als geschichtsklitternde Legende entlarvt worden. Kreisky vergriff sich vielleicht in der Wortwahl, aber inhaltlich hatte er völlig recht!
Und dann war noch seine Pionierrolle bezüglich der Kontaktaufnahme zu arabischen Politikern, die bis dahin absolute Outcasts in Europa waren. Kreisky war es, der durch seine mutigen Initiativen einen politischen Dialog zu Männern eröffnete, die in ihren jeweiligen Völkern führende Rollen spielten und ohne deren Engagement ein Friedensdialog einfach unmöglich gewesen wäre. Natürlich konnte und wollte er keine Friedensverträge vermitteln, er wollte lediglich dem Prinzip zum Durchbruch verhelfen, wonach man Frieden eben nur mit Feinden schließt. Obwohl dieses Prinzip heute in der Theorie längst anerkannt ist, beweist die Haltung gegenüber Organisationen wie Hamas und Hisbollah leider, dass man es noch immer nicht wirklich verstanden hat. Ein Kreisky des 21. Jahrhunderts hätte sicherlich keine Hemmungen, direkte Kontakte zu diesen Gruppen aufzunehmen und so eine wesentliche Voraussetzung für erfolgversprechende Friedensgespräche zu schaffen.
Fritz Edlinger ist Generalsekretär der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen und war in den 1970ern und 1980ern unter Bundeskanzler Bruno Kreisky Vorsitzender der Jungen Generation in der SPÖ.