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Und sie schrieben ja doch

Von Albert Bock

Wissen
Auch in der Antike war das heutige Kärnten ein mehrsprachiges Siedlungsgebiet: Norische Inschrift aus Grafenstein/Grabtanj (2. Jahrhundert n. Chr.). Foto: David Stifter

Keltische Inschriften gibt es in verschiedenen Alphabeten. | Namensschilder, Zauber, Flüche und Trinksprüche sind erhalten.


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 Wien. "Edle Wilde ohne Schrift..." "Die Kelten schrieben nicht. Ihre Kultur und ihr Wissen wurde von den Druiden mündlich weitergegeben.. ." Ein kurzer Streifzug durch Internet und Populärliteratur beweist: Die Vorstellung von den schriftlosen Kelten der Antike ist fest im kollektiven Bewusstsein verankert. Als Zeuge wird, wenn überhaupt, meist Caesar genannt. Allerdings hat der römische Diktator nie etwas dergleichen geschrieben.

In einem Exkurs zur Druidenausbildung in Caesars Buch "Vom Gallischen Krieg" liest man stattdessen, dass Religiöses nicht niedergeschrieben wurde, sich die Gallier aber in allen anderen Belangen der griechischen Schrift bedienten. Was durch archäologische Funde untermauert wird.

Keltischsprachige Gruppen in ganz West- und Mitteleuropa übernahmen in der Antike die Alphabete ihrer jeweiligen Nachbarn. Die ältesten eindeutig keltischen Schriftzeugnisse stammen von den in Norditalien ansässigen Lepontern und werden auf das sechste Jahrhundert vor Christus datiert.

Im heutigen Norditalien und Slowenien wurde Keltisch mit etruskischen Buchstaben geschrieben, in Südfrankreich mit griechischen und in Spanien mit iberischen. Nach der römischen Eroberung sattelten die Menschen auf das Alphabet ihrer Besatzer um. Spätere Texte sind daher vor allem in der schwer zu entziffernden lateinischen Kursive verfasst. Aus der Vielfalt an Textgattungen lässt sich jedoch die ausgeprägte Verankerung des geschriebenen Wortes im Alltag ablesen. Öffentliche Verlautbarungen oder Namensschilder sind ebenso erhalten wie Stiftungsinschriften, Zauber, Flüche, Trinksprüche und anzügliche Widmungen auf Geschenken junger Männer an ihre Freundinnen.

Letztere finden sich vor allem auf gallischen, zu Handspindeln zugehörigen Spinnwirteln und spiegeln die Jugendsprache ihrer Zeit wider - ein Mischmasch aus altvaterischem Keltisch und modernem Latein. Zwei Beispiele für gallischen Jugendslang gefällig? "Nata vimpi pota vim" - "Schönes Mädchen, trink (meine) Kraft" und "Nata vimpi curmi da" - "Schönes Mädchen, gib Bier". Beide Sprüche finden sich auf Spinnwirtelgewichten.

Auf österreichischem Staatsgebiet sind bisher nur kurze Schriftzeugnisse entdeckt worden. Das längste stammt aus Grafenstein/Grabtanj in Kärnten. Es könnte sich dabei um die Rechnung für eine Ladung Ziegel handeln.

Insgesamt enthält die Inschrift 18 unterscheidbare Worte, in lateinischer Kursive auf ein Ziegelfragment eingeritzt. Sie enden mit der Phrase "Ollo so ... P. Lugnu si": "All das.. . für diesen P. Lugnus". Die Verwendung des Keltischen in betriebsinternen Abrechnungen ist auch aus Gallien bekannt, wo die Töpfer von La Graufesenque auf beschädigten Arbeitsstücken Füllungsschritte des Brennofens notierten. An der Universität Wien werden derzeit sowohl die lepontischen als auch die auf österreichischem Gebiet gefundenen altkeltischen Inschriften systematisch erfasst. Sie sollen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Urheber der keltischen Schrift kannten Latein

Die spezifisch keltische Geschichte der Schrift endet aber nicht mit der Antike. In Irland entstand im Frühmittelalter mit dem Ogham ein Alphabet, das aus über Steinkanten gemeißelten Strich- und Punkt-Kombinationen besteht und damit beinahe wie Morsecode anmutet. Aus der Anordnung der Buchstaben geht hervor, dass die Urheber dieser Schrift das Latein-Alphabet gut kannten, aber die Reihenfolge in ihrem System nach Lautklassen umordneten. Sie gingen also sprachwissenschaftlich vor.

Dass sich das Ogham dennoch nicht durchgesetzt hat, liegt auch daran, wie wenig seine streng geometrisch geordneten Buchstaben ins Auge springen. Von der mangelnden Vielseitigkeit des typischen Mediums Steinkante abgesehen. So ging man auch in Irland bald zur Verwendung des lateinischen Alphabets über.

Insgesamt ergibt sich also ein vielfältiges Bild. Eine Schrift aber, die in Esoterik und Mittelalterromantik "den Kelten" oft zugeschrieben wird, haben diese definitiv nicht verwendet: Runen. Dass heute dennoch sogenannte keltische Runen-Orakel verkauft werden, hat wohl auch den Grund, dass sich nach der Ära des Nationalsozialismus die Klischeebilder von antiken Kelten und Germanen zur Vorstellung einer Art weiser Barbaren vermischt haben - hochzivilisiert und doch schriftlos. Im Einklang mit der Natur sollen sie gelebt haben, bis die Römer das Paradies zerstörten.

Schwärmerei für dieedlen Wilden

Dabei handelt es sich um einen mindestens so großen Irrtum wie bei der angeblichen Schriftlosigkeit. Die Kelten entwaldeten riesige Landstriche, um Holzkohle für die Eisenherstellung zu gewinnen. Das auf österreichischem Boden gelegene Königreich Noricum war ein international bekanntes Zentrum der eisenverarbeitenden Industrie. In manchen Regionen lassen sich noch heute Smogspuren in den aus der damaligen Zeit stammenden Bodenschichten nachweisen.

Warum also hält sich die Idee der schriftlosen Kelten so hartnäckig? Vermutlich ist die Schwärmerei für die vermeintlich edlen Wilden stärker als jedes Forschungsergebnis. Wie schwer es die Wissenschaft hat, weit verbreitete Irrtümer richtigzustellen, zeigt ein Beispiel: Im Weltkulturerbe-Museum Völklinger Hütte im deutschen Saarbrücken wird seit November eine Sonderausstellung zu den Kelten gezeigt. Der Generaldirektor des Museums hat sie vor der Presse folgendermaßen beworben: "Die Kelten waren die erste große Hochkultur Europas, die jedoch keine schriftlichen Aufzeichnungen hinterlassen hat." Da sind sie also wieder, die zivilisierten Analphabeten aus der Phantasie der Romantiker.