)
Forscher untersuchen Erbgut der Urmenschen. | Denisowa-Mensch paarte sich mit Homo sapiens. | Leipzig. Heuer brachten die Naturwissenschafter die Menschheitsgeschichte in Schwung: Mit dem Denisowa-Menschen in Sibirien meldeten Paläo-Molekularbiologen um Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Johannes Krause, der im August an das Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie (EVA) der Universiät Tübingen gewechselt hat, bereits im März eine völlig neue Linie der Gattung Homo.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Zur Jahresmitte wirbelten sie dann mit der Nachricht die Medien auf, Neandertaler und moderne Menschen hätten zusammen Kinder gehabt. Und in der Silvester-Ausgabe der Fachzeitschrift "Nature" holen sie zum letzten Paukenschlag dieses Jahres aus: Auch der neu entdeckte Denisowa-Mensch muss ab und zu intime Beziehungen zum modernen Menschen Homo sapiens unterhalten haben.
Auf diese Spur kamen die Forscher, als sie das Erbgut längst ausgestorbener Neandertaler sowie einen Fingerknochen aus der Denisowa-Höhle im Altai-Gebirge Süd-Sibiriens unter die Lupe nahmen. Zu ihrer Verblüffung unterschied sich die DNA des Fingerknochens sowohl vom modernen Menschen als auch vom Neandertaler deutlich. "Erstmals hatten wir eine Menschenlinie nur mit molekularbiologischen Methoden entdeckt", sagt Krause: "Wir hatten aber nur die mitochondriale DNA untersucht." Sie steckt in den Kraftwerken der Zellen - den Mitochondrien. Und sie lässt sich einfacher analysieren als der größere Rest des Erbguts im Zellkern, genannt Kern-DNA.
Mit der Kern-DNA kann man jedoch Verwandtschaftsverhältnisse genauer ermitteln. Tatsächlich fanden die Forscher im Sommer anhand der Kern-DNA heraus, dass die Neandertaler ihre Spuren im Erbgut heutiger Menschen hinterlassen haben: Ein bis vier Prozent der Erbinformation eines Wieners oder Zürchers stammt ursprünglich von einem Neandertaler. Vermutlich fanden die Techtelmechtel vor rund 100.000 Jahren im heutigen Nahen Osten statt.
Weil im Fingerknochen aus der Denisowa-Höhle ähnliche Sensationen verborgen sein könnten, analysierten Pääbo und Krause sowie EVA-Forscher Bence Viola und David Reich von der Harvard Medical School in Boston jetzt auch dessen Kern-DNA genauer. Krause betont: "Die Geschichte der Menschheit ist viel komplexer und spannender als bisher vermutet."
So unterschied sich die Denisowa-Menschen bezeichnete Linie deutlich vom Neandertaler und vom modernen Menschen. Allerdings sind Neandertaler und Denisowa-Menschen näher verwandt als die modernen Menschen mit Neandertalern. "Die Linien von Neandertalern und uns trennten sich vor 270.000 bis 440.000 Jahren", sagt Krause: "Neandertaler und Denisowa-Menschen dagegen gehen dagegen erst seit 200.000 Jahren eigene Wege."
Uralte Verwandtschaft
Vor wohl nicht mehr als 50.000 Jahren ließen sich dann die Denisowa-Menschen mit den modernen Menschen ein: Im Erbgut heute auf Neu-Guinea lebender Menschen findet sich ein vier- bis sechs-prozentiger Anteil an Denisowa-DNA. Wenn die Denisowa-Linie aber in Sibirien lebte und ihre Spuren im Erbgut der Menschen in Neu-Guinea hinterließ, könnte sie auch in den weiten Teilen Asiens verbreitet gewesen sein, die zwischen diesen Gebieten liegt. Irgendwo hätte es dann wohl in Südostasien Kinder zwischen Denisowa und modernen Menschen gegeben, deren Nachkommen vor 45.000 Jahren in Neu-Guinea auftauchten.
Noch geheimnisvoller ist ein Zahn aus der Denisowa-Höhle: Er ähnelt dem Gebiss viel älterer Menschenarten, während sein Erbgut beweist, dass der letzte gemeinsame Vorfahre zwischen seinem Besitzer und der Frau, deren Fingerknochen die Forscher untersucht hatten, allenfalls 500 Jahre vor den beiden lebte. Vielleicht sah also auch der Denisowa-Mensch recht archaisch aus? Die Forscher untersuchen, ob sie der bisher nur über das Erbgut definierten Denisowa-Linie nicht bald auch mehr Fossilien als einen Fingerknochen und einen Zahn zuordnen können. Schließlich wollen sie sich ein Bild von der uralten Verwandtschaft machen.