Mit ständigen Neuwahlen wird Italiens grundlegendes Problem nicht gelöst.
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Die Republik Italien ist 73 Jahre alt. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat sie mehr als 60 Regierungen erlebt. Dass die Apenninen-Halbinsel mehr schlecht als recht dahinvegetiert und derzeit einmal mehr vor dem wirtschaftlichen Kollaps steht, ist mehr als offenkundig. Der kranke EU-Patient verträgt nicht einmal die notwendigen Arzneimittel à la Reformen, Schlankheitskuren und dergleichen.
Die Scheinehe der Rechtspopulisten der Lega Nord und der Fünf-Sterne-Bewegung ist wohl oder übel gescheitert. Zu konträr sind die Ansichten, zu weltfremd die Bekundungen, für das Wohl des angeschlagenen Staates zu arbeiten. Schwindelerregend hohe Mehrwertsteuersätze und ein 1000 Köpfe zählendes Parlament sind Zeichen, dass so manches in Italien alles andere als europäisch üblich verläuft. Regierungschef Giuseppe Conte ist nun in der Zwickmühle - das Land mit der Rekordverschuldung ist es schon lange.
Doch was tut Italiens Innenminister und heimlicher Regierungschef Matteo Salvini? Der Lega-Frontkämpfer schürt den Hass wie kein anderer. Er glaubt zwar, den Stein der Weisen gefunden zu haben, öffnet aber in Wahrheit eher die Büchse der Pandora. Wenn bei jedem Regierungskonflikt in einem EU-Land Neuwahlen ausgerufen würden, würden in jedem europäischen Staat italienische Verhältnisse herrschen. Ob das dem politikverdrossenen Volk gefällt oder ihm bereits egal ist, bleibt freilich eine offene Frage.
Dass Neuwahlen der Lega Nord eine Alleinherrschaft in Italien bescheren könnten, ist längst kein Geheimnis mehr. Wirtschaftspolitisch könnte ein Wahlsieg zwar Salvini und seinen Rechtspopulisten Glücksmomente bescheren, aber Italiens Budgetdefizit unter 3 Prozent des BIP würde, ein Ramschniveau billigend in Kauf nehmend, ebenso über Bord geworfen wie europäische Werte. Apropos "über Bord werfen": Salvini würde am liebsten mit allen Flüchtlingen, die in ihrer Verzweiflung einen süditalienischen Hafen ansteuern, so verfahren.
Aber: Wer immer und laut schreit, wird schneller heiser. Und Salvini hat auch kein ausgewiesenes Ass in seinem Team im Ärmel, das den fehlgeleiteten Kurs seiner Partei glaubwürdig ändern könnte. Außerdem hat Salvini zwei Euro-Gegner zu Ausschussvorsitzenden in den beiden Parlamentskammern gemacht. Die gemeinsame Währung mit ihren Stärken und Schwächen könnte womöglich früher oder später nur noch in Geschichtsbüchern aufscheinen. Die Versuchung eines Ausstiegs aus dem Euro würde den Zusammenbruch Italiens freilich keineswegs hemmen, sondern eher beschleunigen. Die relativ gut funktionierende Wirtschaft Norditaliens, die seit jeher eine Stütze der Lega Nord widerspiegelt, will sicher nicht den Euro aufgeben. Das müsste Salvini eigentlich wissen.
Neuwahlen sind nicht immer eine Lösung. Eine technokratische, vernünftige Übergangsregierung täte es vermutlich auch, selbst wenn das Land dann zu einem eng anliegenden Sparkorsett verpflichtet werden müsste. Dass es trotz aller Turbulenzen in Italien weiterhin spannend bleibt, ist vielleicht das Gute an der Sache. Oder auch nicht: Denn täglich grüßt das Murmeltier.
Andreas Raffeiner befindet sich im Doktoratsstudium Geschichte an der Universität Innsbruck und lebt als freiberuflicher Redakteur, Rezensent und Referent in Bozen.