)
Die Debatte um die mögliche Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beschäftigt weiterhin die österreichische Innenpolitik. Während Grünen-Chef Alexander Van der Bellen gestern ein "stark konditioniertes Ja" zu Beitrittsverhandlungen verkündete, will die SPÖ mit der Türkei nun lediglich über einen Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum EWR verhandeln. Unterdessen hat Österreichs scheidender EU-Kommissar Franz Fischler herbe Kritik an der "doppelbödigen" Haltung der Union in dieser Frage geübt.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die EU habe zwar den Beitritt als Option angegeben, zugleich aber gesagt "dazu wird es wohl nie kommen". Es sei eine "unseriöse Vorgangsweise, im Hinterkopf zu behalten, dass die Türkei eh nicht beitritt". Wer aber die Türkei an den Westen anbinden und keinen Fundamentalismus aufkommen lassen wolle, der müsse auch über die Möglichkeit nachdenken, dass es nicht zu einem Beitritt kommt. Denn in verschiedenen EU-Staaten werde im Ernstfall über Volksabstimmungen nachgedacht. Ein negatives Referendum ohne Alternativstrategie würde aber erst recht Fundamentalismus in der Türkei nähren.
Skeptisch über einen möglichen Beitritt der Türkei äußerte sich auch Verteidigungsminister Günther Platter. Sorgen bereiten dem Minister die langen Außengrenzen mit Iran, Irak und Syrien, die abgesichert werden müssten. Zu bewältigen wäre dies nur mit einem neuen europäischen Verteidigungskonzept. Doch die wichtigste Frage ist für ihn: Geht die europäische Bevölkerung diesen Weg mit? Dazu sei noch viel Überzeugungsarbeit notwendig.
Kritik übt Platter an Erweiterungskommissar Günther Verheugen. Den Alleingang des Deutschen hält er für inakzeptabel, schließlich könne er die Entscheidung der Staatschefs nicht vorwegnehmen: "Die Vorgangsweise Verheugens war überzogen."
Gezwungen, mit der "Fehlinterpretation aufzuräumen", wonach der geschäftsführende Klubobmann Cap und Parteichef Gusenbauer hier nicht einer Meinung seien, sah sich gestern die SPÖ. Seine Partei vertrete in Sachen EU-Beitritt der Türkei eine einheitliche Linie, betonte Bundesgeschäftsführer Darabos im ORF. Die Linie laute: Ja zu EWR-Verhandlungen, Nein zu EU-Beitritts-Verhandlungen. Einen Zick-Zack-Kurs der SPÖ sehen dagegen ÖVP und FPÖ. VP-Generalsekretär Reinhold Lopatka ortete ein "heilloses Durcheinander".
Ein "stark konditioniertes Ja" sagen die Grünen zu einem Beitritt. Bundessprecher van der Bellen erläuterte gestern einen entsprechenden Vorstandsbeschluss. Die EU habe ein "außenpolitisches Glaubwürdigkeitsproblem erster Ordnung", wenn sie die Türkei weiter im Wartezimmer festhalten wolle, wenngleich das "Verdauen der Erweiterung" Priorität haben müssten.
Kritik übte Van der Bellen am Schweigen von Bundeskanzler Schüssel zu diesem wichtigen Thema. Die FPÖ bezichtigte er des "doppelten Spiels", der SPÖ warf er vor, die Position von Tag zu Tag zu wechseln.