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Und trotzdem liebe ich sie, nämlich die Pharmaindustrie

Von Christa Karas

Wissen

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Ja, stimmt schon: Wenn jemand sich von nebenstehendem Artikel besonders angesprochen fühlen muss, dann unsereins, und zwar nicht nur als Fachjournalistin im einschlägigen Bereich, sondern auch ganz persönlich. Ich bin´s nämlich, auf die jegliche Werbekampagne der Pharmaindustrie (und zwar gleich doppelt) abzielt. Also quasi das "gehobene Publikum". Und ich kann anhand zahlreicher Beispiele versichern, dass mich fast jeder Schuss von dieser Seite trifft.

Weil nämlich, mit der Muttermilch Apothekenluft (die damals noch diese Bezeichnung verdiente) eingesogen zu haben, ist scheint´s das sicherste Rezept zur lebenslangen Drogensucht. Nichts zieht unsereins so magisch an wie, neben dem Duft interessanter Speisen und Weine, die Suche nach diesem verlorenen Odeur. Andere mögen sich in wildfremden Gegenden zuerst nach den Sehenswürdigkeiten umschauen, mich führt der erste Weg in die Apotheke. Diese spezielle Geruchsmischung findet man zwar nirgendwo mehr, aber dafür irgendetwas Innovatives, das man ganz sicher gut gebrauchen kann, auch wenn man es bis dahin noch nie vermisst hat.

Besonders aufregend und sehr zu empfehlen sind in diesem Zusammenhang italienische und französische Pharmazien, zumal der Beipacktext dem nicht so Sprachkundigen oft Rätsel aufgibt, die nur empirisch zu lösen sind. So habe ich einmal einen Tag lang die seltsamsten Empfindungen gehabt, indem mir der ignorante Apotheker in Tarquinia statt eines Medikaments gegen meine entzündete Vesica urinaria ein Entwässerungsmittel verkauft hat. Aber gut, das war ein echter Notfall und die Apothekerin in Manciano hat das Problem dann später eh alsbald begriffen und wieder gut gemacht. Und immerhin bin ich dadurch an ein (im Gegensatz zu den üblichen Antibiotika) hochwirksames und dennoch rezeptfreies Medikament gekommen, das es bis dato bei uns nicht gibt.

Nein, mich zieht vielmehr das Neue an, das eine Verbesserung des Lebensstils verspricht. Und oft tut es das ja wirklich: Lange, ehe er auch bei uns in Mode kam, entdeckte ich auf Grund von ganzseitigen Inseraten in der "Repubblica" den wahrlich segensreichen Wirkstoff Ibuprofen gegen alle Arten von entzündlichen und sonstigen Schmerzen. Eingedeckt damit in Cortona, und schon war alles rosig. Wie auch meine Liebsten finden, die seit Jahren von mir mit allem versorgt werden, was gerade angesagt ist, von der Folsäure über Q 10 bis zum Haarwuchsmittel und der Hautcreme: Bei mir kommt nämlich Alles aus der Apotheke - was man dort so zu schätzen weiß, dass ich sogar Stammkundenrabatt habe.

Weshalb ich hier auch offen gestehe: So sehr ich Ärzte und Spitäler gerne meide, so sehr liebe ich die Pharmaindustrie! Sie denkt an mich - und ich daher an sie.

Jetzt ist freilich was Ungeheuerliches in Form eines dicken Briefs samt Prospekten passiert, gerichtet "An die schönheitsbewußte Dame" an meiner Wohnadresse. Inhalt: Informationen über Nahrungsergänzungsmittel, mithin Schönheit pur bis zur Kremation. Also eine Verführung, bei der sämtliche Register gezogen werden. Wer will schließlich schon als fette Mumie in den Sarg steigen? Und, je nun, ich verzeihe "Pharma Nord" ja noch, dass sie dort selbst am Ende ihres Folders zugeben: "Um dieses Resultat zu erreichen, ist körperliche Bewegung ein MUSS, das SIE beitragen." Aber dass sie mich auffordern, ihre Produkte meinen Apothekerinnen auf´s Aug und ins Regal zu drücken, falls sie dort nicht schon sind, ist infam. - Die haben schon jetzt fürwahr genug zu tun mit meinen Bestellungen der jeweils neuesten Mittel!