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Und was ist bitte mit den Kongolesen und den Rohyingia?

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Etwa 60 Millionen Menschen weltweit sind ähnlich gefährdet wie die Syrer. Soll, muss Europa sie alle aufnehmen?


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Dass Menschen, die aus relativ weit entfernten Kriegsgebieten wie Syrien geflohen sind, in den vergangenen Tagen vor allem in Deutschland freundlich aufgenommen werden und auch in Österreich (überraschend) viel Sympathie genießen, ist grundsätzlich eine gute Sache. Selbst dann, wenn sich in ein paar Jahren zeigen wird, welche Probleme sich daraus ergeben, die heute noch im leicht naiven Überschwang verdrängt werden.

Weniger befriedigend ist, dass diese Menschen großteils nicht als Folge rechtsstaatlicher Verfahren oder auch nur gezielter Politik einreisen durften, sondern dank einer Mischung aus Improvisation, Politikversagen, glatten Rechtsbrüchen und schieren Zufällen - und einfach ihrer enorm großen Zahl wegen, die schon allein Fakten schuf, etwa am Budapester Ostbahnhof.

Für eine Gemeinschaft von Rechtsstaaten, als die sich die EU ja gerne darstellt, ist es ein unhaltbarer Zustand, dass die Frage, wer eine Chance auf Asyl erhält und wer nicht, nach derart irrationalen, zufälligen und keinerlei Normen unterworfenen Kriterien beantwortet wird. Dass letztlich eine Chance auf Asyl erhält, wer zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, ausreichend viel Berichterstattung bekommt und so Druck auf die Politik ausüben kann, Recht durch Gnade zu ersetzen, ist weder "gerecht" noch vernünftig, sondern höchstens ein Produkt von Politikversagen unter den Bedingungen stimmungsgetriebener Demokratie.

Gerecht und vernünftig wäre es, endlich rechtlich verbindlich festzulegen, ob all jene, die weltweit unter ähnlichen Bedingungen leben wie in Syrien, ein Recht auf Asyl (oder auch nur temporäre Duldung) haben sollen oder nicht. Wer dafür ist, sollte aber wissen, dass die Willkommenskultur auch der flüchtlingsfreundlichsten Europäer dann auf eine ziemliche Probe gestellt würde.

Im Kongo etwa vegetieren derzeit knapp drei Millionen Vertriebene unter Bedingungen, die nicht weniger übel als jene in Syrien sein dürften. Seit 20 Jahren herrschen dort grausamste Gewalt, ist der Tod geliebter Menschen Alltag, der wiederholte Verlust aller Habe Routine und die Zukunft düster. Ihr moralischer Anspruch auf eine Chance auf Asyl wäre nicht geringer als jener der Syrer.

Und dann sind da zum Beispiel die Rohyingia, eine Millionen zählende muslimische Minderheit in Burma (Myanmar), die seit vielen Jahren dermaßen brutal drangsaliert wird, dass die UNO sie als "am meisten verfolgte Minderheit der Welt" bezeichnet. Hunderttausende versuchten in jüngster Zeit vergeblich, in wackeligen und überfüllten Booten zu fliehen, ganz ähnlich wie die Mittelmeer-Migranten. Auch diese Leute leben unter Bedingungen, die jenen in Syrien gleichen.

Und dann sind da noch viele andere. Rund 60 Millionen Menschen waren auf dieser Welt im vergangenen Jahr in Kriegsgebieten auf der Flucht, um das schiere Leben zu retten. Ihr moralisches Recht, eine Chance auf Asyl in Europa zu bekommen, ist um nichts kleiner als jenes der Syrer, die nun freundlich empfangen werden. Wer eine unbürokratische Einreise für Syrer befürwortet, wird das Gleiche diesen 60 Millionen nicht verwehren können, ohne grob ungerecht zu handeln. Ob deren Empfang dann besonders freundlich sein wird, ist eher ungewiss.