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Und wieder droht der Abgrund

Von Jan Michael Marchart und Walter Hämmerle

Politik

Mit hart rechten, einigen linken und mit so manch liberalen Parolen lockt die FPÖ ihre Wähler. In einer Koalition könnte es die Partei zum dritten Mal zerreißen.


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Wien. Die gelernten Österreicher wissen, was sie bekommen, wenn sie SPÖ, ÖVP oder Grüne wählen. Mehr oder weniger jedenfalls, und abhängig auch von der jeweiligen Koalitionskonstellation. Bei der FPÖ ist das keinesfalls eine ausgemachte Sache. Die Partei schwankt in ihrer öffentlichen Selbstdarstellung zwischen "Ausländer raus" und "Unser Geld für unsere Leut‘", und propagiert eine linke Politik von rechts.

Mit den scharfen Tönen gegen Ausländer profilierte sich die FPÖ als Partei der kleinen Leute, der Unzufriedenen, die geplagt sind von Abstiegsängsten und von der Furcht vor billigen ausländischen Wettbewerbern auf dem heimischen Arbeitsmarkt.

Seit dem Ausbruch der Flüchtlingskrise sind der FPÖ diese Stimmen praktisch sicher. Aber das allein reicht nicht aus, um FPÖ-Frontmann Heinz-Christian Strache bei der nächsten Nationalratswahl ins Kanzleramt zu bringen. Auch Unternehmer, Ärzte oder Gastronomen sollen Blau wählen. Ein ideologischer Spagat, den die FPÖ bisweilen mit einer Kombination aus linken, rechten und liberalen Positionen betreibt.

Über 400.000 Arbeitslose hat Österreich, der Wirtschaftsmotor stottert seit Jahren und in den Rankings fällt der Standort immer weiter zurück. Die Umfragen für die nächste Nationalratswahl sehen die FPÖ klar vor den Regierungsparteien SPÖ und ÖVP. Das macht Blau in der Regierung zwar nicht zu einer zwingenden, aber doch zu einer hinlänglich realistischen Variante für eine künftige Koalition. Bei den bisher zwei Regierungsbeteiligungen mit der SPÖ in den 80ern und mit der ÖVP Anfang der 00er Jahre zerriss es die Partei im wahrsten Sinn des Wortes. Seitdem bestehen Zweifel an der Regierungsfähigkeit der FPÖ. Dennoch: Wie würde die selbsternannte "soziale Heimatpartei" die Wirtschaft ankurbeln und Arbeitsplätze schaffen? Und hat sie tatsächlich immer die kleinen Leute im Blick?

Höhere Pensionen, höhere Löhne und niedrigere Mieten werden von der FPÖ in Wahlkämpfen gefordert. Diese Positionen könnten von Linkssozialisten stammen. Konterkariert wird das Label der "sozialen Heimatpartei" für die Arbeiterschicht durch ihre Ablehnung von Vermögenssteuern und dem Solidarbeitrag der Reichen und Manager zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise. Kapital sei ein scheues Reh, wird der Steuerzahler vertröstet.

Im Fokus des FPÖ-Wirtschaftsflügels steht der Unternehmer. Die Theorie: Geht es dem Unternehmer gut, weil er weniger Lohnnebenkosten zahlt, geht es dem Arbeitnehmer gut, weil ihm das Unternehmen mehr vom Lohn übrig lässt. Und dem Unternehmer geht es nur gut, wenn er nicht von Normen und Gesetzen des Staates gebremst wird.

"Wir wollen eine drastische Reduzierung der Kosten auf Arbeit und der Wirtschaft bessere Rahmenbedingungen schaffen", sagt Barbara Kolm, eine der wirtschaftspolitischen Zukunftsweiserinnen der FPÖ. Der Staat solle die Wirtschaft machen lassen. Kolm leitet das Friedrich-Hayek-Institut. Hayek ist der Vater des Neoliberalismus, und steht für möglichst viel Freiheit des Kapitals und für einen möglichst kleinen Staat mit all seinen Unterstützungsleistungen. "Unsere Anregung ist immer, einen Preiszettel auf alle Leistungen des Staats draufzugeben", sagt Kolm. Das klingt gar nicht nach Arbeiterpartei.

"Mit Hayek-Ideologie kann ich Arbeiterbezirke wie Simmering in Wien nicht halten", sagt der frühere Fraktionschef Friedhelm Frischenschlager, der die Partei 1993 verließ. "Diese Ideologie steht jeglicher Sozialhilfe feindlich gegenüber. Da laufen dir die Leute in der Sekunde davon." Frischenschlager nennt die Partei "nicht regierungsfähig" - wegen ihrer in sich widersprüchlichen wirtschaftspolitischen Forderungen. Verlässt die Partei die Fundamentalopposition, werde sie einen großen Teil ihrer Klientel wohl bitter enttäuschen müssen.

Axel Kassegger sollte die wirtschaftspolitischen Grundsätze seiner Partei kennen. Der 50-Jährige Unternehmer ist seit 2014 Wirtschaftssprecher der FPÖ. Kassegger schwört auf den liberalen Leistungsgedanken, nach dem jeder "bei entsprechender Leistung, Eigentum und Vermögen erlangen und aufbauen" könne. Zwischen Unternehmer und Arbeiterschicht werde keine Trennlinie gezogen. Diese legitimiere nur Kammern und Gewerkschaften.

Sonst folgen Gemeinplätze - etwa die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger oder die Steigerung der Effizienz im Gesundheitssystem. Ein pikanter Unterschied zu anderen Parteien sind die Forderungen nach einer Aufhebung der Sanktionen gegen Russland oder die Rückbesinnung auf eine nationalstaatliche Wirtschaftspolitik.

Ein konkretes Konzept ist das nicht. Vielleicht hilft ein Blick nach Oberösterreich, um die FPÖ-Wirtschaftspläne zu finden. Dort ist Manfred Haimbuchner seit 2015 Vizelandeshauptmann in einer schwarz-blauen Koalition. Anders als im Burgenland, wo die FPÖ als Juniorpartner mit der SPÖ regiert, ist die Beteiligung der Blauen im Land oberhalb der Enns nicht nur symbolischer Natur. Oberösterreich ist das führende Industrieland Österreichs. Ohne Wirtschaftskompetenz kommt man hier nicht weit.

Doch genau die fehlt der FPÖ - programmatisch wie personell. Auch die Wirtschaftsbeziehungen wie einst unter Schwarz-Blau zu Industriellen wie zu Peter Mitterbauer, Chef des Technologieunternehmens Miba und damals Präsident der Industriellenvereinigung (IV), oder Thomas Prinzhorn, einem erfolgreichen Papierindustriellen, fehlen. Die IV-Länderorganisationen öffnen sich der FPÖ hingegen wieder. Auch der ÖVP-nahe Wirtschaftsbund kann einer Koalition mit der FPÖ hinter vorgehaltener Hand einiges abgewinnen. Sie müsse sich nur entscheiden, wo ihre Prioritäten liegen: bei Migration oder Wirtschaft.

In der Bundespartei machen die führenden Köpfe um das Thema einen großen Bogen. Da ist viel Platz für Haimbuchner, um auf der innenpolitischen Bühne anzuklopfen. An der EU-Mitgliedschaft Österreichs will er nicht rütteln, Forderungen nach Vermögens- oder Wertschöpfungssteuern erteilt er nicht nur eine Absage, "wir lehnen sämtliche neuen Steuern ab". Bei den Pensionen pocht Haimbuchner auf eine gesetzlich verankerte Pensionsautomatik, um eine nachhaltige Finanzierung des Pensionssystems zu gewährleisten. Vor allem will er die Bestimmungen zu Arbeitszeiten und für die Beschäftigung Behinderter lockern, um Arbeitgebern mehr Anreize zu geben, Arbeitssuchende zu beschäftigen. Was das Steuersystem angeht, so zieht der FPÖ-Politiker ein Abgehen vom Individualsystem vor, um Familien zu bevorteilen.

In Summe klingt das wie eine Kampfansage an die SPÖ und eine Koalitionseinladung an die ÖVP. Haimbuchner selbst will sich nicht auf Schwarz-Blau festlegen, vor allem beim Abbau von Förderungen sieht er die Sozialdemokraten als natürlichen Verbündeten der FPÖ gegen die Schwarzen. Und was Pensionsautomatik, Vermögenssteuern oder Arbeitsrecht angeht, so müsse die SPÖ "erkennen, dass sie manche Dinge falsch sieht". Die ÖVP nennt er eine "reine Bauernpartei", die "wo sie nur könne", Reformen verhindere. Die FPÖ? Die sieht Haimbuchner demnächst als "neue Zentrumspartei à la CSU".

Aber sogar Haimbuchner traut seiner Partei nicht hundertprozentig über den Weg, schränkt der doch ein, "eine Regierungsbeteiligung ist immer mit inhaltlichen Abstrichen und Kompromissen verbunden. Das sieht man deutlich an den derzeitigen Regierungsparteien." Haimbuchner spricht aber auch aus der leidvollen Erfahrung der FPÖ-Vergangenheit: "Wenn wir ein, zwei Regierungsbeteiligungen unbeschadet überstehen" werde man sehen, ob die FPÖ mit ihrer Leidenschaft für Spaltungen abgeschlossen hat. Zumal die Spaltungen nicht ideologischer, sondern persönlicher Natur gewesen seien. Haimbuchers Rat nach Wien: Starke Persönlichkeiten und Pluralität zulassen. Für eine Koalition braucht die FPÖ eine Linie - sonst droht erneut der Abgrund.