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Und wieder ein neuer Trend

Von Mathias Ziegler

Reflexionen

Schon Cicero mokierte sich über das ungebührliche Verhalten der Jugend. Wer sich heute auf den Straßen Wiens umsieht, mag ihm vielleicht zustimmen: 14-jährige "Krocha" sorgen für ein Revival der Achtziger-Modefauxpas, "Emos" tragen in grellbunter Schwärze ihre Emotionen nach außen. Zwei völlig verschiedene Jugendkulturen wachsen hier heran.


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Donnerstag, 23 Uhr, am Eingang der Diskothek "Nachtschicht" bei der U1-Station Kagran in Wien: Obwohl die meisten am Freitag um 8 Uhr in der Schule sitzen müssen, hat für die Jugendlichen, die sich hier tummeln, der Abend gar nicht richtig begonnen. Es ist Zeit zum "Schichtln", wie die jungen "Krocha" sagen. Und deshalb "krochn" (=krachen) sie jetzt in die "Schicht" rein und lassen die Sau raus. "Schaust ua bombä aus!", ruft ein Teenager - auch wenn er nicht so aussieht, muss er über 16 sein, sonst käme er nicht in die "Nachtschicht" rein - einem Mädel in schwarzer Lederjacke, weißer Karottenhose und silbernen Ballerinas zu. Er selbst trägt zur Lederjacke enge dunkelblaue Jeans, die in schwarz-weißen Boxerstiefeln stecken. Das Ed-Hardy-Kapperl auf dem Irokesen muss er allerdings beim Reingehen abnehmen. "Wir lassen keine Kapperln rein", erklärt der Türsteher. "Bam oida, des is ja voll die Härte", raunt der nun Barhäuptige seinem Begleiter zu, der sich optisch von ihm eigentlich nur dadurch unterscheidet, dass seine Jeans weiß sind. Ob denn seine Eltern wissen, wo sich ihr Sprössling um diese Uhrzeit herumtreibt? "Geh, des is den Oiden doch pari", meint der junge Krocha nur und stürzt sich ins Getümmel. Es wird noch ein langer Abend werden . . .

Es ist eine noch ziemlich unerforschte Szene, die sich in den letzten Monaten mit den Schwerpunkten Wien und Graz entwickelt hat. Erstmals seien jene Jugendlichen, die sich als Krocha bezeichnen und einen recht uniformen Kleidungsstil pflegen, Mitte 2007 in größeren Gruppen in der Öffentlichkeit aufgetreten, meint der Jugendforscher Philipp Ikrath. "Das Phänomen scheint an Großdiskotheken wie die Nachtschicht´ gebunden zu sein." Wesentlich fürs Gemeinschaftsgefühl ist vor allem der Tanzstil (Hardstep oder Jumpstyle): "Man ist nur dann ein echter Krocha, wenn man den beherrscht. Ohne diesen Zusatz ist man einfach nur jemand, der Markenkleidung trägt", meint Christian Waginger. Der Szene-Insider - mit 25 liegt er deutlich über dem typischen Alter von 12 bis 17 Jahren - ist selbst eigentlich kein Krocha, sondern Administrator der Website www.krocha.at.

Dort erfährt man so gut wie alles über die junge Krocha-Szene: was es zum Beispiel mit Ausdrücken wie "bam oida" (sinnfreie Phrase) oder "Patienten" (="Schichtgänger") auf sich hat; dass Krocha vor allem in SMS die wÖrtEr So sChrEIben, dASs gRoß- uND klEiNBucHstAbEN ABgeWecHSeLt wERdeN, und Buchstaben durch Sonderzeichen oder Zahlen ersetzen (diese Schreibweise namens "Leetspeak" ist zwar viel älter, unter den Krochan gibt es allerdings richtige Geheimcodes); wie das richtige Krocha-Outfit aussieht; oder wie Hardstep beziehungsweise Jumpstyle korrekt getanzt wird.

Der typische Krocha-Tanzstil ist in Anlehnung an den australischen "Melbourne Shuffle" der Achtziger und Neunziger entstanden - auch wenn Ikrath bezweifelt, "dass die jungen Krocha das selbst wissen". Der Dresscode scheint vor allem bei den Burschen eng gefasst zu sein. Und so tragen die meisten Marken- oder Neonkapperln (je nach finanziellen Möglichkeiten). Hingegen könnten viele "Krocharinnen" vom Aussehen her auch in der Hip-Hop- oder R&B-Szene beheimatet sein. "Es ist der klassische New Yorker/Pimkie/H&M-Stil, dazu blondierte oder schwarze Haare mit schiefen Stirnfransen und Haarreifen, ein solariumgebräuntes Gesicht und Gel-Fingernägel." Und nicht zu vergessen das gewisse Piercing an Ober- oder Unterlippe. Das Vokabular ist bei Burschen und Mädchen gleich: Tiefste Umgangssprache wird hier kultiviert - die Jugendlichen, die großteils aus sozial niedrigeren Schichten kommen, stehen also offenbar dazu. "Und vielleicht ist es bei manchen, genauso wie die Markenkleidung, auch als ironische Karikatur zu sehen", meint Alexander Brunner vom WienXtra-Institut für Freizeitpädagogik. Wer nun ein echter Krocha ist, sei oft schwer zu sagen: "Jede Jugendkultur hat einen harten Kern und eine große Masse, die nur teilweise partizipiert".

Krocha, Krocha und Krocha. Und so gibt es Krocha, Krocha und Krocha, meint Michael. Der 21-jährige "Nachtschicht-Patient", der einen perfekten Hardstep hinlegt, trägt dunkle Lederschuhe zum schwarzen Anzug und drückt sich unerwartet gewählt aus: "Für mich ist jeder, der sein Ding auslebt, ein Krocha - egal ob Punk oder Jumpstyler. Schau dich einmal hier um: Da triffst du Rennbahnweg-Prolos und Innenstadt-Privatschüler. Und es gibt auch nicht das Krocha-Outfit." Krocha.at findet Michael übrigens ebenso peinlich "wie die Neonkappler".

Mit Letzteren ist das überhaupt so eine Sache: Von den "Schicht-Patienten" wird diese Fraktion (wegen des Migrationshintergrundes auch als "Balkan-Community" bekannt), die hauptsächlich in der Konkurrenz-Diskothek "Nachtwerk" in Oberlaa "krocht", hämisch "Zalega" oder "Selbstzerstörer" genannt - wegen des intensiven Alkoholkonsums und "weil die so oft eine in die Goschen kriegen", grinst ein junger "Schicht-Patient". Generell sei Gewalt unter den Krochan allerdings kein großes Thema, so Waginger: "Ausgemachte Schlägereien untereinander gibt´s jedenfalls nicht. Wenn, dann sind das Fetzereien, die einfach vorkommen, wenn bei Jugendlichen unterschiedliche Einstellungen aufeinander treffen - nicht zuletzt, weil die Jugendkultur der Krocha sehr polarisiert und Hass auf sich zieht."

Auch wenn Waginger meint, dass "Krocha zu sein mehr eine Lebenseinstellung ist als nur ein Trend", sieht Jugendforscher Ikrath keine neue kulturelle Bewegung, über deren gesellschaftliche Auswirkungen man sich allzu viele Gedanken machen müsste: "Die Krocha sind eine reine Spaßkultur. Selbstinszenierung und Konsum stehen im Vordergrund: Das Palästinensertuch etwa hat keine politische Bedeutung - es ist ein reines Modeaccessoire." Auch Sport - und da vor allem das Fußballfantum - spielt kaum eine Rolle, glaubt Brunner: "Das Fitnesscenter ist weniger bedeutend als das Solarium."

Emotionen voll ausleben. Während die Glitzeraffinen Krocha in der "Nachtschicht" die Sau rauslassen, sitzen vor dem benachbarten Kino zwei 14-Jährige und ärgern sich, dass sie noch nicht rein dürfen. Dabei sind Nadine und Melanie Exponenten einer ebenfalls recht jungen Subkultur, die eigentlich mit dem "Krochn" nicht viel am Hut hat: nämlich "Emos". Diese aus dem Hardcore-Punk heraus entstandene Bewegung trägt in erster Linie ihre Emotionen nach außen, und zwar nicht nur musikalisch. Was als Musikrichtung begonnen hat, wird nun also zu einer ganzen Lebenseinstellung. "Wobei die heutige Szene nur noch bedingt mit ihren Vorläufern aus den Achtzigern zu tun hat", glaubt Brunner.

Im Unterschied zu den Krochan ist es jedenfalls eine internationale Bewegung, die vor allem durch die Musikindustrie gefördert wird. "Wir haben bei der WienXtra Kinderinfo an die 300 Ticketangebote, und da kommen auch immer sehr viele Emos und holen sich Konzertkarten", berichtet Brunner. Im Unterschied zu den Disko-gebundenen Krochan dürfte sich die Konzert-orientierte Emo-Szene auf einem etwas höheren intellektuellen Niveau abspielen.

Seit der Jahrtausendwende ist auch der modische Aspekt immer stärker geworden: Heutige Emos greifen verschiedene Modeelemente der früheren Generationen auf, vermischt mit Gothic-Aspekten. Unter dem meist schwarz gefärbten Pony mit Seitenscheitel lugt in der Regel ein blasses Gesicht mit dunkel geschminkten Augen hervor, enge T-Shirts oder weite Kapuzenpullis werden zu Röhrenjeans getragen, ebenso gehören Schweißbänder, Nietengürtel und Sportschuhe (meist Converse oder Vans) zum Standard-Outfit, das Buttons oder Ketten vervollständigen. Wie die Krocha haben auch sie bevorzugte Marken, Farben und Muster, von Neon bis Schwarz. "Es ist allerdings keine geregelte Szene", meint Ikrath. Es gibt jedoch in Wien bestimmte Treffpunkte für Emos: die Mariahilfer Straße rund ums Generali-Center, die Arena, das Flex. Dort tummeln sich junge Mädchen und Burschen, tauschen Gedanken aus oder hören gemeinsam "ihre" Musik (bekannte Emo-Bands sind etwa "boysetsfire" oder "Senses Fail").

Eine Lebenseinstellung. Emo ist aber viel mehr als bloß Musik, erklärt die 15-jährige Lena. Sie und ihre zwei besten Freundinnen sind laut eigener Aussage Vertreter der sogenannten Straight-Edge-Bewegung: "Wir sind Veganer, außerdem saufen wir nix, und rauchen tun wir auch nicht." Die Ablehnung von Drogen jeder Art und der Einsatz zum Schutz des (Tier-)Lebens ist nämlich gar nicht so selten unter den jungen Emos, zu denen sich laut einer deutschen Umfrage (auch für Österreich repräsentativ) immerhin rund fünf Prozent der 11- bis 19-Jährigen bekennen - Tendenz vor allem bei den Burschen steigend.

Doch Lenas Freundin Sissi kennt die Vorurteile gegenüber den Nachfahren der Gothic-Grufties aus den Neunzigern nur zu gut: "Die Leute glauben, wir sind Satanisten, nur weil wir uns dunkel kleiden. Aber das ist natürlich völliger Blödsinn." - "Emos haben den Drang, ihre Gefühle zu zeigen", mischt sich da eine Mittzwanzigerin ins Gespräch ein. "Das hat nichts mit einer politischen Einstellung zu tun oder so. Emos nehmen sich sehr viel Zeit, um über sich und ihre Umwelt nachzudenken - daher isolieren sich halt viele von anderen." Und dann meint sie mit einem Seitenblick auf die drei Jüngeren: "Ich find´s einfach nur peinlich, wenn die kleinen Mädchen total auf Emo machen. Es gehört sehr viel mehr dazu, als die Musik zu mögen, mit Emo-Klamotten durch die Stadt zu laufen und zu zeigen, wie ach so depressiv man nicht ist."

Vermutlich würde sie auch über Nadine und Melanie den Kopf schütteln. Die beiden Teenager haben nämlich nach eigener Aussage erst vor kurzem mit dem "Ritzen" aufgehört. Was nach cooler Freizeitbeschäftigung klingt, ist alles andere als harmlos: nämlich eine gefährliche Form des Aggressionsabbaus, indem man sich selbst Schnittwunden (meist am Unterarm oder Oberschenkel und mitunter sehr tief) zufügt. Warum die beiden sich das angetan haben? "Weil man uns in der Klasse gemobbt hat. Aber mit der Zeit stumpft man ab. Und die Schmerzen befreien. Außerdem gehört das Ritzen doch auch dazu als Emo." So viel zum Thema Klischees.

Man kann es sich leisten. Krocha und Emos sind freilich nur die beiden Pole der heutigen Jugendkultur. Dazwischen tummeln sich viele, die zumindest Tendenzen in eine der beiden unterschiedlichen Richtungen zeigen - oder überhaupt nichts damit anfangen können. So wie der 16-jährige Thomas, der am liebsten zu Designer-Hemden greift. "Man kauft sich halt teure Markenklamotten und gibt sich damit ein bestimmtes Image", meint er. Als Snob will Thomas nicht bezeichnet werden, "das klingt so negativ". Obwohl es vielleicht genau das trifft.

Allerdings scheint es ein allgemeines Phänomen der Postmoderne zu sein, dass die Heranwachsenden sich auch darüber definieren, welche Marken sie sich leisten können. Statussymbole werden nicht nur von reicheren Schichten okkupiert, sondern auch von den anderen: "Die trendigen Hip-Hop-Marken zum Beispiel sind de facto auch nicht wesentlich billiger als Lacoste oder Hugo Boss", führt Jugendforscher Ikrath ein Beispiel an. Abgesehen davon falle mittlerweile jeder Jugendliche in irgendeine Kategorie hinein - von Fitnessszene bis Alternative. "Echte Normalos´ gibt es eigentlich nicht mehr", glaubt Ikrath.

Auch das Wertesystem der Jugendlichen habe sich verändert: "Jobsicherheit und gutes Einkommen sind für viele wichtiger als etwa Selbstverwirklichung." Dazu komme oft enormer Leistungsdruck seitens der Eltern, nach dem Motto: "Wennst nix Gscheites lernst, wird nix aus dir!" Wobei Ikrath kaum einen Unterschied zwischen höheren und niedrigeren Einkommensschichten sieht. "Jugendliche aus weniger gut situierten Familien spüren im Kampf um erfolgversprechende Ausbildungsplätze vielleicht sogar noch mehr Druck."

Einer, der sich "dank reicher Eltern jeden Schmarrn leisten konnte", dem aber irgendwann "das Herumprotzen vor meinen Freunden zu blöd wurde", ist der 19-jährige Andreas. Und so habe er seinen eigenen Stil gesucht, "mit dem ich jetzt wohl eher ältere, gebildete Leute anspreche". Andreas, der sich am Vater orientiert und mittlerweile als Golf-Semiprofi unterwegs ist, weiß aber, dass es auch ganz anders hätte kommen können. Denn: "Mit 14, 15 Jahren haben dich die Eltern nicht im Griff. Entweder du bereitest dich in dieser Zeit selbst aufs Leben vor, oder du wirst vom Strudel mitgerissen und findest erst viel später ins Erwachsenenleben."