Jerusalem - Eine neue Welle der Gewalt bringt den stockenden Friedensprozess im Nahen Osten ernsthaft in Gefahr. Seit dem Scheitern des Gipfels in Camp David vor zwei Monaten war die Gefahr derartiger Auseinandersetzungen mit jedem Tag gewachsen.
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Dass die Lage nicht früher eskalierte, lag wohl an der Bereitschaft der Palästinenser, ihre für 13. September angekündigt gewesene Souveränitätserklärung zu verschieben. Mit den blutigen Zusammenstößen wurden die Befürchtungen jedoch Realität. Einige Palästinenser fordern sogar eine neue Intifada - einen Volksaufstand gegen die israelische Herrschaft wie von 1987 bis 1993. Israels Premier Ehud Barak sieht sich mit den schwersten Unruhen seit dem Beginn seiner Amtszeit im Juli 1999 konfrontiert.
In einem Interview des staatlichen Rundfunks zeigte er sich zwar immer noch überzeugt von der Möglichkeit eines Friedensabkommens. In einer schriftlichen Erklärung warnte er jedoch, der Frieden sei gefährdet, wenn die Palästinenser nicht konsequent gegen den Terrorismus und Gewalt vorgingen. Für die Ausschreitungen auf dem Jerusalemer Tempelberg, bei denen am Freitag sieben Menschen getötet und 230 verletzt worden waren, machte Barak die Palästinenser verantwortlich.
Dabei hatte es noch Anfang vergangener Woche Anlass zu Optimismus gegeben, als Barak einen neuen Anlauf zur Lösung der Jerusalem-Frage unternahm. Sie ist der Knackpunkt für den ausstehenden Nahost-Friedensvertrag, an der Jerusalem-Frage scheiterte auch der Gipfel von Camp David im Juli. Barak schlug nun erstmals öffentlich vor, dass das östliche Viertel Jerusalems als "Al Quds" die Hauptstadt eines künftigen Palästinenserstaates werden soll. Aber was so klingt wie ein enormer Fortschritt, streift das Problem nur am Rande: Der eigentliche Streit wird um die Kontrolle der heiligen Stätten geführt.
Es geht rein um die Frage: Wer kontrolliert die heiligen Stätten - Al-Aksa- und Felsendom-Moscheen als das drittehöchste islamische Heiligtum nach Mekka und Medina - im Osten der Stadt? Barak ist aus nach seinem jüngsten Vorstoß in der Jerusalem-Frage nicht bereit, die Souveränität über den Tempelberg - von den Moslems "Haram al Sharif" ("Heiligtum des Propheten") genannt - aufzugeben.