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Und wo arbeite ich heute?

Von Julia Schymura

Wirtschaft
Neue Kommunikationstechnologien ermöglichen flexibles Arbeiten überhaupt erst. Sie führen allerdings auch zu ständiger Erreichbarkeit - egal wann, egal wo.
© Shutterstock/Nail Gilfanov

Wie weit "New Work" tatsächlich in Österreichs Unternehmen angekommen ist - und was es braucht, damit die "schöne, neue Arbeitswelt" auch tatsächlich so schön wird, wie sie verspricht.


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Wien. Am 1. September jährte sich die Novelle im Arbeitsrecht, die den 12-Stunden-Tag möglich machte. Auf den ersten Blick schien Österreich damit eine untypische Richtung eingeschlagen zu haben. Untypisch, weil derzeit doch so viel über die neue Arbeitskultur, "New Work", gesprochen wird - die eigentlich Gegenteiliges verspricht: Weniger Stunden, mehr Flexibilität. Als Gegenentwurf gewann die 30-Stunden-Woche mediale Präsenz.

New Work ist aber natürlich mehr als die Frage, ob nun zwölf oder fünf Stunden pro Tag gearbeitet wird. Der Begriff umfasst all das, was mit der Zukunft des Arbeitens zu tun hat: innovative Führungstechniken, Büroarchitekturen, Technologien. Im Mittelpunkt stehen Digitalisierung und Globalisierung genauso wie sich verändernde Bedürfnisse von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen.

Eine kürzlich veröffentlichte Deloitte-Studie ergibt: Tatsächlich gibt es in jedem fünften österreichischen Unternehmen den 12-Stunden-Tag, in nur weniger als einem Prozent der Unternehmen gibt es die 30-Stunden-Woche. Aber: Nahezu jedes österreichische Unternehmen (97 Prozent) ermöglicht seinen Mitarbeitern mittlerweile Home Office. Und auch wenn die Kombination aus Gleit- und Kernzeit derzeit noch das häufigste Modell ist, bieten bereits knapp 30 Prozent der Unternehmen Gleitzeit ohne einen Kernteil an.

Der Schreibtisch muss gehen

Bettina Kubicek, Arbeits- und Organisationspsychologin an der Universität Graz, ist spezialisiert auf die "Neuen Wege der Arbeit": gemeint ist damit die zeitliche und räumliche Flexibilität. Letztere meint nicht nur Home Office, sondern auch innovative, offene Büroarchitekturen. Kubicek bestätigt, dass das durchaus in Österreich angekommen sei: "Vor allem größere Unternehmen und Headquarters haben in den letzten Jahren - und tun dies immer noch - umgestaltet.

Ein solches Unternehmen ist Microsoft, das bereits 2011 seine Räumlichkeiten nach den Maßstäben der "Neuen Welt der Arbeit", New Work in Microsoft-Sprache, umbaute. Statt festem Schreibtisch erhalten die Mitarbeiter Laptops und Mobiltelefone, arbeiten von zu Hause, im Kaffeehaus oder eben dem neuen Büro, dessen Konferenzräume Mottos haben wie "Garten" oder "Bar". Fördern soll das laut Human Resources-Leiterin Nina Schmidt nicht nur die Kreativität und Produktivität der Mitarbeiter, sondern auch ihr allgemeines Wohlbefinden. "Wenn man heute ein attraktiver Arbeitgeber sein möchte, sind solche Maßnahmen nicht mehr wegzudenken."

Auch wenn diese Art der Arbeit Internet- und Technologieunternehmen wie Microsoft vielleicht näher ist, ist sie in anderen Branchen ebenfalls möglich. Das beweist beispielsweise die Erste Bank, die ihre neue Zentrale nach ähnlichen Maßstäben konzipierte.

Anfang des Jahres wurde außerdem Kreativwirt Georg Gasteiger als "New Worker des Jahres" ausgezeichnet - dafür, dass er einen 400 Jahre alten Tiroler Hof renovierte und zum "Co-Working" Veranstaltungsort machte. Der Mesnerhof-C in Steinberg am Rofan, der kurz vor dem Verfall stand, kann jetzt für offenes, gemeinsames Arbeiten und Workshops gemietet werden.

Begründet wurde der Begriff New Work übrigens von dem in Österreich aufgewachsenen Sozialphilosophen Frithjof Bergmann. Bergmann sprach bereits in den 1970ern von der neuen Arbeitskultur - allerdings im Rahmen seiner Kapitalismuskritik.

"Lohnarbeit im Minirock"

Er machte die Erfahrung, dass die Digitalisierung Jobs nicht zwangsläufig ausradierte, sondern vor allem verkürzte, erklärte er erst kürzlich wieder im Gespräch mit dem "Standard". Die so frei gewordene Zeit sollten die Menschen seiner Meinung nach dafür nutzen, in speziellen Zentren für neue Arbeit herauszufinden, was sie "wirklich, wirklich wollen" - in ihrer Arbeit und ihrem Leben. 40 Jahre später kritisiert er nun in Podiumsdiskussionen und Interviews wie aus seinem Ziel, die "Lohnarbeit abzuschaffen", die heutigen New Work Bewegungen geworden sind: Immer noch Lohnarbeit, bloß "im Minirock".

Man muss der Lohnarbeit aber nicht per se abgeneigt sein, um Kritik an dem schönen, neuen Arbeiten zu üben. So hilft es beispielsweise nicht, das Büro zu renovieren und einen Tischkicker in den Gemeinschaftsraum zu stellen - wenn die Strukturen, Hierarchien und Überstundenanzahl gleich bleiben.

Wenn sich die Unternehmenskultur nicht verändert, nützt auch der schönste Konferenzraum wenig, betont Organisationspsychologin Kubicek. Gerade wenn es um das flexible Arbeiten geht, sei vor allem Vertrauen sehr wichtig, sagt sie. Bei Microsoft gibt es keine zusätzlichen Kontrollen für Arbeit außerhalb des Büros. Stattdessen gibt es ein Leistungsziel am Ende des Jahres - das muss erreicht werden, egal, von wo aus.

Standard in österreichischen Unternehmen ist das noch nicht, wie die Deloitte-Studie zeigt: Der Großteil der Befragten gibt an, seinen Mitarbeitern zu vertrauen - knapp 40 Prozent setzen aber auf zusätzliche Kontrollmaßnahmen bei flexiblem Arbeiten. Außerdem wird die physische Präsenz weiterhin als sehr wichtig eingeschätzt. Das wird dann problematisch, "wenn Anwesenheitszeit als Leistungsindikator herangezogen wird", heißt es in der Studie.

Aber wie wichtig ist die physische Präsenz wirklich? Das Team von Microsoft HR-Leiterin Schmidt muss sich einmal wöchentlich zu einem gemeinsamen Treffen im Büro einfinden. Wenn jemand dann ausnahmsweise einmal nur digital anwesend sein kann, sei das natürlich kein Problem- aber in der Regel wolle sie die Menschen da schon persönlich antreffen. Dasselbe wie tägliches gemeinsames Arbeiten ist das natürlich nicht.

"Klar hat das flexible Arbeiten Auswirkungen auf das Privatleben. Man muss Einsamkeitstendenzen vorbeugen, wenn man ausschließlich im Home Office arbeitet", sagt Michael Godola von der Gewerkschaft der Privatangestellten. "Und es stellt sich die Frage, wie Arbeitnehmer und Betriebsrat miteinander Kontakt aufnehmen können." Auch für den fachlichen Austausch könne es hinderlich sein, nicht im Büro zu arbeiten. Sich persönlich über aktuelle Projekte auszutauschen, gibt es nicht mehr, genauso wenig wie zufällige Treffen an der Kaffeemaschine. Stattdessen gibt es Chatprogramme wie Skype oder Slack.

Immer auf Abruf?

Gogola betont allerdings die Vorteile, die das flexible Arbeiten Arbeitnehmern bringen kann und wird: einfachere Vereinbarkeit von Beruf und Privatem, Job und Familie. Dass es die nicht ohne neue Herausforderungen geben kann, scheint logisch. Er beobachtet zum Beispiel die Tendenz, dass im Home Office oft mehr gearbeitet und vieles davon nicht als Arbeitszeit aufgezeichnet wird: "Auch das Beantworten von E-Mails in der U-Bahn oder Einlesen in die Präsentation während des Tatorts am Sonntag ist Arbeitszeit." Was nicht aufgezeichnet wird, wird auch nicht bezahlt: "Wer so arbeitet, dem kann viel entgehen."

Wenn die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen, kann das zu der Erwartungshaltung führen, immer erreichbar zu sein; immer irgendwo ein bisschen zu arbeiten. Davor warnt auch Kubicek. Tatsächlich erwarten viele österreichische Unternehmen zumindest von Führungskräften ständige Erreichbarkeit. "Hier ist es wichtig, klare Spielregeln aufzustellen", betont die Organisationspsychologin. Arbeitnehmer müssen sich trauen, ihre freie Zeit einzufordern; Führungskräfte müssen mit positivem Beispiel vorangehen.