Freiheit, Demokratie und ihre Bürger: Kennen Sie in Österreich einen Politiker, der sich über das Verhältnis dieser Trias ernsthafte, kluge und zugleich unbequeme Gedanken macht?
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In Deutschland gibt es einige. Einer von ihnen ist Joachim Gauck. Der 70-jährige protestantische Pastor und Bürgerrechtler aus Rostock machte sich als Leiter der Stasi-Akten-Behörde um die deutsche Einheit verdient. Nun kandidiert er für SPD und Grüne für das Amt des Bundespräsidenten. Und das, obwohl er eigentlich viel besser zur Koalition aus Christlich-Konservativen und Liberalen passt.
Gauck warnt davor, die Existenz als selbstbewusster Bürger gegen ein Dasein als passiver Konsument einzutauschen. Er beobachtet die für eine liberale Demokratie gefährliche Entwicklung, dass immer mehr Menschen Freiheit - ihre eigene wie die der anderen - als Bedrohung wahrnehmen und sich lieber einer fürsorglichen, aber dafür entmündigenden Obhut anderer ausliefern. Er beharrt in seinen Reden und Schriften darauf, dass Freiheit ohne gelebte Verantwortung bestenfalls nur eine halbe Sache ist. Und bei all diesen grundsätzlichen Gedanken verliert er in seinem Reden und Handeln nicht die oftmals erschreckend komplizierte Realität aus den Augen: Für ihn ist nämlich Demokratie das Komplizierte, das auch einfache Menschen beherrschen. Nur wollen müssen diese schon selbst.
Man kann gut verstehen, dass es nicht wenigen Mandataren der Koalition in den Fingern juckt, in der Bundesversammlung am 30. Juni für Gauck und gegen den eigenen Kandidaten, Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff, zu stimmen. Blitzumfragen attestieren dem wortgewaltigen Pastor eine überwältigende Mehrheit in der Bevölkerung, und schon regen sich Stimmen, die für eine Direktwahl des deutschen Bundespräsidenten plädieren. (Was waren noch gleich die Themen im österreichischen Hofburg-Wahlkampf?)
Die wird nicht kommen; und Kanzlerin Angela Merkel, selbst Pastoren-Tochter aus dem ehemaligen Osten, wird Wulff auch nicht zurückziehen und Gauck als Konsenskandidaten auf den Schild heben. Merkel kann sich keine weiteren Pannen ihrer prekären Regierungskonstellation mehr leisten. Deshalb muss Wulff die Wahl gewinnen. Politik ist manchmal unerbittlich in ihrer Unvernunft.