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Unfall am Schulweg - wer haftet?

Von Doris Pritzl*

Wirtschaft

Die meisten Schulunfälle passieren statistisch gesehen auf dem Weg von und zur Schule. Kinder unterschätzen oft die Gefahren des Straßenverkehrs, sodass es immer wieder zu schweren Unfällen kommt.


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Aus juristischer Sicht ist bei Verkehrsunfällen mit Kindern im Straßenverkehr § 3 der Straßenverkehrsordnung (StVO), der so genannte "Vertrauensgrundsatz" relevant. Er besagt, dass jeder Straßenbenützer darauf vertrauen darf, dass andere Personen, die für die Benutzung der Straße maßgeblichen Rechtsvorschriften befolgen, außer er müsste annehmen, dass es sich um Kinder,., handelt, aus deren augenfälligem Gehabe geschlossen werden muss, dass sie unfähig sind, die Gefahren des Straßenverkehrs einzusehen oder sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten (§ 3 Abs. 1 StVO). Der Lenker eines Fahrzeuges hat sich gegenüber Personen, gegenüber denen der Vertrauensgrundsatz gemäß Abs. 1 nicht gilt, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und Bremsbereitschaft so zu verhalten, dass eine Gefährdung dieser Personen ausgeschlossen ist (§ 3 Abs. 2 StVO).

Gefahrenquelle Schulweg

Folgt man einer wörtlichen Auslegung des Vertrauensgrundsatzes, so müsste jeder Fahrzeuglenker, sobald er Kinder im Straßenverkehr sieht, die sich in irgendeiner Art und Weise auffällig verhalten, sofort seine Fahrgeschwindigkeit verringern und bremsbereit fahren, um eine Gefährdung der Kinder auszuschließen, so dass ihn, im Falle eines Verkehrsunfalls, kein Verschulden trifft. In vielen Fällen ist aber für einen Autofahrer eine potenzielle Gefahrensituation überhaupt nicht erkennbar, da Kinder sehr oft unüberlegt und völlig unvorhersehbar handeln. Die herrschende Judikatur hat daher der Sorgfaltspflicht des Fahrzeuglenkers Grenzen gesetzt.

Wenn verkehrsgerechtes Verhalten nach den gegebenen Umständen verlässlich erkennbar ist (11 Os 85/68) oder wenn ein Kind von einer geeigneten Person den Verhältnissen entsprechend beaufsichtigt wird (2 Ob 274/70), besteht keine Ausnahme vom Vertrauensgrundsatz - die erhöhte Sorgfaltspflicht des Fahrzeuglenkers entfällt. Beispiel: Das Kind reißt sich von der Hand der begleitenden Mutter los und stürmt auf die Fahrbahn.

Aufsichtspflichten der Lehrer

Den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs (OGH) lässt sich nicht eindeutig entnehmen, bis zu welchem Alter ein Kind noch als "Kind" im Sinne der oben zitierten Judikatur gilt. Ein 9-jähriges Kind gehört jedenfalls noch zu den Personen, gegenüber denen der Vertrauensgrundsatz nicht wirksam ist (2 Ob 7/68). Letztendlich wird im Einzelfall auf die Einsichtsfähigkeit und Entwicklung des Kindes abzustellen sein.

Haben die Kinder den Schulweg unversehrt hinter sich gelassen und sind am Ziel, in der Schule angelangt, obliegt gemäß § 51 Abs. 3 Schulunterrichtsgesetz den Lehrern die Beaufsichtigung in der Schule, beim Verlassen der Schule sowie bei allen Schulveranstaltungen und schulbezogenen Veranstaltungen innerhalb und außerhalb des Schulhauses. Bei schuldhafter Verletzung dieser Aufsichtspflicht besteht ein Schadenersatzanspruch, wobei jedoch auch hier vom Gesetzgeber Grenzen gezogen wurden. Die Aufsichtspflicht reicht nur soweit, als dies nach dem Alter und der geistigen Reife der Schüler erforderlich ist und soll insbesondere die körperliche Sicherheit und Gesundheit der Schüler umfassen.

Die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen den Lehrer selbst bzw. gegen dessen Dienstgeber, der abhängig vom Dienstvertrag entweder ein Privater, die Stadt Wien oder sogar die Republik Österreich sein kann, ist überaus kompliziert und muss im konkreten Fall genau geprüft werden.

Lausbubenstreiche

Nicht selten passiert es jedoch, dass Schulkinder selbst auf Grund ihres Verhaltens Dritte gefährden oder Dritten einen Schaden zufügen. Dazu zählen etwa die klassischen Lausbubenstreiche wie das Zerschlagen einer Fensterscheibe beim Fußballspiel. Problematisch ist in diesen Fällen, dass Unmündige (Kinder unter 14 Jahren) nicht deliktsfähig sind und grundsätzlich nicht für den von ihnen verursachten Schaden haften (§ 153). In einem solchen Fall sollte geprüft werden, ob nicht jener Person, die zur Aufsicht verpflichtet war, eine Verletzung der Aufsichtspflicht vorgeworfen werden kann, so dass Schadenersatz geltend gemacht werden kann.

Aufsichtspflichtig sind in erster Linie die Obsorgepflichtigen, insbesondere die Eltern, aber auch Lehrer oder sonstige Personen, denen das Kind zum Aufpassen anvertraut wurde. Laut herrschender Judikatur richtet sich das Maß der Aufsichtspflicht nach Alter, Entwicklung und Eigenschaften des zu Beaufsichtigenden, wobei die Lebensverhältnisse der Eltern, insbesondere auch deren Geschäfts- und Berufspflichten sowie die konkrete Gefahrenlage zu berücksichtigen sind. Die Aufsichtspflicht selbst dauert nach herrschender Judikatur bis zur Volljährigkeit, wobei mit zunehmendem Alter den Kindern mehr Freiraum gelassen wird. Eine Beaufsichtigung auf Schritt und Tritt ist daher nicht erforderlich.

Auch hier ist natürlich von Fall zu Fall zu entscheiden, wobei für die Frage der Haftung darauf abgestellt wird, ob sich ein maßgerechter Mensch in dieser konkreten Situation ebenso wie der Aufsichtspflichtige verhalten hätte.

Ist es dem Geschädigten nicht möglich vom Aufsichtspflichtigen direkt seinen Schaden ersetzt zu bekommen, besteht in Sonderfällen gemäß § 1310 ABGB noch die Möglichkeit, nach Billigkeit des Gerichtes den gesamten Schaden oder nur einen Teil vom Deliktsunfähigen, also vom Kind selbst zu erhalten. Dazu müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen vorliegen:

Kinder als Schadenstilger

So muss dem nicht deliktsfähigen Schädiger ein Verschulden zur Last gelegt werden können und zwar in dem Sinne, als ihm doch die Fähigkeit zukommt, die Gefährlichkeit seines Handelns einzusehen. Dies schätzt grundsätzlich der Richter nach seinem Eindruck von dem Kind ab. Eine andere Möglichkeit: Der Geschädigte hat nur deshalb keine Verteidigungshandlung gegen das schädigende Verhalten des Kindes gesetzt, um es zu schonen. Beispiel: Der tätliche Angriff eines Kindes wird nicht abgewehrt, um ihm auf Grund der eigenen, größeren Körperkraft keinen Schaden zuzufügen. Schließlich dann, wenn der Schädiger vermögensmäßig leichter im Stande ist, den Schaden zu tragen, als der Geschädigte.

Zusammenfassend kann allen Eltern und Aufsichtspflichtigen nur geraten werden, auf ihre Schützlinge besonders gut aufzupassen. n

* Mag. Doris Pritzl ist Rechtsanwaltsanwärterin bei der Wiener Kanzlei Mathes & Strebl