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Unfreiwillig abgedankt

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Die bemerkenswerte Hartnäckigkeit der finanzpolitischen Misere fordert etliche Opfer - nicht nur von den Steuerzahlern, sondern auch von den Intellektuellen mit Deutungsanspruch.

Die ersten Schuldigen waren mit Bankern und Finanzjongleuren schnell ausgemacht; dann ging es den Konservativen an den Kragen, die Gier und Geiz allzu leichtfertig Tor und Tür öffneten; und nun, als der Sieg der Linken endlich zum Greifen nahe erschien, entschließt sich das Politische zum Abdanken. Oder wie sonst soll man den Triumph der Experten über die Politiker interpretieren? Dem Politischen wird übrigens in absehbarer Zeit wohl der europäische Nationalstaat - oder zumindest das, was wir bisher darunter verstanden haben - folgen. Was ihn ersetzen wird, ist noch nicht ganz klar, irgendetwas mit Europa im Namen zweifellos.

Ob es schade um den Nationalstaat sein wird, bleibt abzuwarten. Vermissen werden ihn die allermeisten ganz sicher, politisch hat er an seiner Abdankung allerdings erheblich mitgewirkt. Auch wenn man dabei zugutehält, dass der souveräne europäische Klein- und Mittelstaat irgendwie nicht mehr in die Welt des 21. Jahrhunderts zu passen scheint. Immerhin ist nach wie vor einzig und allein der Staat jene Institution, in der das demokratische Prinzip bestmöglich verwirklicht ist.

Faktisch hat sich der Staat mit seiner Form des Regierens nun allerdings selbst ausgehebelt. Da ist es eigentlich nur fair, wenn die nationale Politik für ihre Unfähigkeit zu rechtzeitiger Veränderung selbst den höchsten Preis bezahlen muss - und dieser besteht in ihrer weitgehenden Entmachtung.

Bleibt noch die demokratiepolitisch nicht unwesentliche Frage, wie es zu einer solchen Diskreditierung des Politischen kommen konnte. Warum gelingt es etablierten Wohlstandsgesellschaften nicht wie selbstverständlich, einen untrüglichen Sinn für das Leistbare zu entwickeln und entsprechend zu handeln?

Dafür die Politik allein haftbar zu machen, die den Bürgern das Blaue vom Himmel versprochen hat, greift zu kurz. Das Ködern von Wählern ist nun einmal der Job von unablässig wahlkämpfenden Parteien. Niemand zwang uns, die erzählten Märchen auch zu glauben. Und trotzdem haben wir sie geglaubt. Das macht unsere derzeitige Rolle als Wut- und Frustbürger allerdings nicht wirklich glaubwürdiger.