Wegen einiger ausländischer Landwirte tobt seit Jahren ein heftiger Streit zwischen Österreich und Ungarn.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Brüssel/Wien. Ein jahrelanger Rechtsstreit hat am Dienstag vor dem Europäischen Gerichtshof ein vorläufiges Ende gefunden. Eine jahrzehntelange politische Diskussion hat damit ein weiteres Kapitel hinzubekommen. Ungarn, so hat der EuGH entschieden, habe mit seinem Bodengesetz von 2014 gegen die Grundfreiheit des freien Kapitalverkehrs verstoßen sowie Bürger aus anderen EU-Staaten diskriminiert.
Vor vier Jahren hatte Viktor Orbán und sein Fidesz nämlich mit dem umstrittenen Gesetz hunderte ausländische Grundeigentümer, primär Landwirte, entschädigungslos enteignet. Quasi. Denn tatsächlich ging es nicht um Eigentum, sondern um sogenannte Nießbrauchsrechte, eine Form von Miete. Dabei wird, anders als bei Pachtverträgen, am Anfang des Mietverhältnisses die gesamte Summe gezahlt. Der Betrag entsprach in der Regel, und das eben nicht zufällig, dem Kaufpreis. Aber dazu später.
Wie viele Personen das Bodengesetz tatsächlich betraf, blieb stets unklar. Bei der Botschaft meldeten sich rund 200 Österreicher, darunter aber viele Kleingarteninhaber. Für diese wurde bald eine Lösung gefunden, übrig blieben rund 50 Landwirte, davon einige Einzelpersonen sowie auch landwirtschaftliche Gesellschaften. Eine solche hatte auch die Klage vor dem EuGH angestrengt.
Warum ein paar Dutzend ausländische Bauern zu einem jahrelangen Politikum in Ungarn führten, zu einem allen Warnungen aus Brüssel zum Trotz durchgedrückten Gesetz sowie zu schweren diplomatischen Verwerfungen mit Österreich, erscheint auf den ersten Blick doch etwas rätselhaft. Doch die Geschichte hat natürlich einen langen Vorlauf. Er reicht bis in die Zeit des ungarischen Realsozialismus zurück.
Die Landwirtschaft, in der die kommunistische Führung gewisse marktwirtschaftliche Anreize erlaubte, funktionierte weitaus besser als etwa in der DDR. Beim Fall des Eisernen Vorhangs war der Sektor von großer Bedeutung. Jeder fünfte erwerbstätige Ungar war in der Landwirtschaft beschäftigt, die Exportquote war hoch, die Ungarn waren stolz auf ihre Landwirtschaft.
Mit der Wende war alles anders. Schon bald wurden per Gesetz Entschädigungen an jene geleistet, deren Land enteignet und kollektiviert wurde. Gleichzeitig wurden die Genossenschaften aufgelöst und privatisiert. Das führte dazu, dass in kurzer Zeit, viel Boden auf den Markt kam. Das Interesse aus dem Ausland, auch aus Österreich, war groß - und es war auch im Sinne Ungarns. Schließlich waren, vor allem in jenen Jahren, Investitionen aus dem Ausland gerne gesehen.
Auf die ungarische Landwirtschaft hatten diese Entwicklungen gravierende Auswirkungen. Dazu kam, dass sich bei den Verhandlungen Ungarns mit EU- und EFTA-Staaten über den Warenverkehr für landwirtschaftliche Produkte nicht gerade zwei Partner auf Augenhöhe gegenüberstanden, um es vorsichtig zu formulieren. Während westliche Länder, darunter Österreich, protektionistisch agierten, mangelnde Qualität, Hygiene und Umweltbestimmungen in Ungarn orteten, kam auf der anderen Seite die Sorge um einen Ausverkauf von Grund und Boden auf.
Verbot von Grunderwerb durch Ausländer
Im Jahr 1994 wurde Ausländern deshalb der Erwerb von Grundbesitz verboten. Es war zugleich aber die Geburtsstunde des Nießbrauchsrecht-Systems. Das Verbot konnte so umgangen werden - wohl nicht zum Ärger der ungarischen Politik. Kurzfristig kam so Kapital ins Land, langfristig war der Boden aber gesichert. Bis 2001 blieb das Gesetz in Kraft.
Mit dem EU-Beitritt Ungarns drei Jahre später änderte sich die Lage noch einmal, wobei das Land eine zehnjährige Übergangsfrist vereinbarte. Seit 2014 ist es Unionsbürgern möglich, Grund zu erwerben, wobei es - wie hierzulande - gewisse Restriktionen gibt. Innenpolitisch ist das Thema aber aus dem Diskus verschwunden. Orbán hat nun andere Anliegen.
Nach dem EuGH-Entscheid können sich nun alle Betroffenen bei der Botschaft in Budapest melden, wo ein Vertrauensanwalt eingesetzt wird, heißt es aus dem Landwirtschaftsministerium. Die Causa Nießbrauchsrecht hat Ungarn aber jedenfalls noch ein EU-Vertragsverletzungsverfahren eingebracht. Eines von vielen.